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Erregungsleitung am marklosen Axon

Allgemeines - marklose Axone - markhaltige Axone - Druckwellen-Theorie

Ein kleiner Gedankenversuch

Stellen wir uns vor, dass man ein langes Axon irgendwo elektrisch reizt, so dass die Membran an dieser Stelle auf -43 mV depolarisiert wird.

siehe folgenden Text

Messung des Membranpotenzial an einem Axon
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.

Man sieht hier einen berühmten Versuch. Die Graphik wurde in Anlehnung an eine Abbildung aus [1] angefertigt.

Aufgabe

  1. Beschreiben Sie die Versuchsdurchführung und die Ergebnisse der Messungen.
  2. Erklären Sie die Messergebnisse.

Wir wollen diese Aufgabe, die auch in einer Biologieklausur kommen könnte, gemeinsam lösen...

Lösungsvorschlag

Versuchsdurchführung

Ein Riesenaxon (Durchmesser fast 1mm, wenn man der Zeichnung glauben kann) wird an einer Stelle elektrisch gereizt. Die Reizelektrode ist grün eingezeichnet. Mit einer Messelektrode direkt daneben wird das Membranpotenzial nach der Reizung ermittelt. Drei weitere Messelektroden registrieren das Membranpotenzial in Abständen von 2, 4 und 6 mm von der Reizstelle.

Messergebnisse

Wenn man die Messergebnisse betrachtet, sieht man, dass die anfänglich hohe Depolarisierung der Membran (-43 mV) immer stärker abnimmt, je weiter man sich von der Reizstelle entfernt. Bei einer Entfernung von 6mm von der Reizstelle ist die Membran kaum noch depolarisiert, das Membranpotenzial liegt im Bereich des Ruhepotenzials.

Erklärung der Ergebnisse

Durch die Reizung wurde an der Stelle 0 eine Depolarisation des Membranpotenzials erzeugt. Natrium-Ionen sind zelleinwärts geströmt, weil sich eine gewisse Anzahl von spannungsgesteuerten Natrium-Kanälen geöffnet hat. Im Zellinnern befinden sich nach der Reizung an der Stelle 0 jetzt übermäßig viele Natrium-Ionen, an der Stelle 2 herrscht aber eine normale Na+-Konzentration, die wesentlich niedriger ist als an der Stelle 1. Es kommt daher zu einer seitlichen Diffusion der Natrium-Ionen nach links und rechts im Axon. Das führt dann in den benachbarten Stellen ebenfalls zu einer Depolarisierung der Membran, allerdings in abgeschwächter Form. Die Intensität der Diffusion nimmt sowohl zeitlich wie auch räumlich immer mehr ab, daher erhöht sich die Na+-Konzentration an den beiden anderen Messstellen nur noch wenig bzw. kaum. Entsprechend gering ist hier die Depolarisierung der Membran.

Weitere Informationen zur Weiterleitung von Rezeptorpotenzialen

Unter einem Rezeptorpotenzial verstehen wir eine Abweichung vom Ruhepotenzial, die durch eine Reizung der Nervenzelle (Rezeption eines Reizes) verursacht wurde.

Betrachten wir die folgende Situation im Bild:

siehe folgenden Text

Situation nach dem Aktionspotenzial
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.

Direkt nach der Reizung an Position 0 sind im Zellplasma übermäßig viele Natrium-Ionen, und außerhalb der Zelle sind zu viele Kalium-Ionen (im Vergleich zum Ruhezustand).

Es haben sich also innerhalb des Axons wie auch außerhalb zwei Konzentrationsgradienten gebildet: Innerhalb des Axons liegt ein Na+-Gradient vor, außerhalb der Zelle ein K+-Gradient.

siehe folgenden Text

Ausbreitung der Ionen durch Diffusion
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.

Dieses Bild zeigt modellhaft, dass die hohe Konzentration von Kalium-Ionen auf der Außenseite zu einer Kalium-Ionen-Diffusion nach rechts führt (und nach links, das sieht man auf dem Bild aber nicht). Genau das gleiche passiert auf der Innenseite mit den Natrium-Ionen.

Als Folge dieser Ausgleichsströmchen (so nennt man die laterale Diffusion der Kalium- und Natrium-Ionen) wird die Membran links und rechts von der Stelle mit dem Aktionspotenzial ebenfalls stark depolarisiert.

Eine Depolarisierung der Membran breitet sich durch Ausgleichsströmchen in allen Richtungen aus. Verantwortlich hierfür ist die laterale (seitliche) Diffusion der eingedrungenen Natrium-Ionen sowie der herausgeströmten Kalium-Ionen.

Neben diesen Ausgleichströmchen spielt auch die Bildung elektrischer Felder eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung solcher Rezeptorpotenziale. Ein elektrisches Feld bildet sich immer dann, wenn auf der einen Seite eine positive, auf der anderen Seite eine negative Ladung vorliegt. Solche elektrischen Felder können wiederum die Bewegung von Ionen beeinflussen. Insofern werden die Natrium-Ionen im Axon nicht nur durch reine Diffusion von links nach rechs bewegt, sondern auch durch die Einwirung elektrischer Felder.

Wie kommt es zur Weiterleitung eines Aktionspotenzials?

Diese sich nach links und rechts ausbreitende Depolarisierung führt zur Entstehung neuer Aktionspotenziale in den Nachbarregionen des Axons.

An der "echten" Nervenzelle kann sich ein Aktionspotenzial allerdings immer nur in einer Richtung ausbreiten, nämlich vom Axonhügel zum synaptischen Endknöpfchen. In die andere Richtung kann sich ein Aktionspotenzial nicht ausbreiten.

Ursache für diesen "Einbahnstraßen-Verkehr" sind die spannungsgesteuerten Natrium-Kanäle, die erst mal eine Zeit lang inaktiv sind, nachdem sie sich geöffnet haben. Dort, wo gerade ein Aktionspotenzial war, kann innerhalb der nächsten 4 bis 6 Millisekunden daher kein neues Aktionspotenzial entstehen. Diese kurze Phase bezeichnet man übrigens als Refraktärzeit. In Richtung Endknöpfchen hat aber in den letzten 4 oder 5 Millisekunden noch kein Aktionspotenzial stattgefunden, daher sind die Natrium-Kanäle dort in einem Zustand, in dem sie sich öffnen können.

Analogbeispiel für die Weiterleitung von Aktionspotenzialen

Schauen Sie sich die folgende Abbildung an:

siehe folgenden Text

Fallende Dominosteine
Autor: Ulrich Helmich 2017, Lizenz: siehe Seitenende.

Wir sehen hier einige Dominosteine, die man schön in einer Reihe aufgestellt hat. Sobald man den linken Stein anstößt, fällt er um, berührt dabei seinen Nachbarn, so dass dieser ebenfalls umfällt und so weiter.

Dieses Beispiel findet man in vielen Schulbüchern, weil es sehr schön verdeutlicht, wie ein Aktionspotenzial am Axon weitergeleitet wird. Genau wie ein Aktionspotenzial kann sich die "Welle des Umfallens" nur in einer Richtung fortbewegen, weil die bereits umgefallenen Steine sich nicht wieder schnell aufrichten können.

Das Zündschnurbeispiel von Bear et al.

In dem Buch von Bear et al. [2, S. 105f] findet sich ein noch besseres Analogbeispiel für die verlustfreie Weiterleitung der Aktionspotenziale, hier wird die Weiterleitung der Aktionspotenzial mit dem Abbrennen einer Zündschnur verglichen.

Brennende Zündschnur
Autor: Scott Ehardt, Lizenz: Public domain.

"Die Spitze der brennenden Zündschnur erhitzt den unmittelbar benachbarten Abschnitt, bis sich dieser ebenfalls entzündet... Beachten Sie dabei, dass die Zündschnur, die an einem Ende entzündet wurde, nur in einer Richtung brennt. Die Flamme kann nicht umkehren, da das brennbare Material direkt dahinter verbraucht ist." [2, S. 106].

Wie "lang" ist ein Aktionspotenzial?

Ein Aktionspotenzial dauert nur zwei bis vier Millisekunden, die zeitliche "Länge" ist also sehr kurz. Wie sieht es aber mit der räumlichen Länge eines Aktionspotenzials aus? Über welchen Abschnitt des Axons erstreckt sich ein gerade ablaufendes Aktionspotenzial? Als ich diese Angaben zum ersten Mal nachgelesen habe [2, S. 107], war ich doch sehr erstaunt. Ein Aktionspotenzial erstreckt sich über sage und schreibe 2 Zentimeter des Axons!

Das kann man leicht nachrechnen. Wenn sich das Aktionspotenzial mit einer Geschwindigkeit von 10 m/s über das Axon bewegt, dann legt es in einer Millisekunde den Tausendsten Teil dieser Strecke zurück, also 1 cm. Da ein Aktionspotenzial aber zwei bis vier Millisekunden anhält, bedeckt es eine Strecke zwischen 2 und 4 cm auf dem Axon.

Würde man das aktuelle Membranpotenzial auf dieser Strecke graphisch darstellen, so erhielte man nicht den üblichen Verlauf eines Aktionspotenzials, sondern eine spiegelbildliche Darstellung. Wenn das Aktionspotenzial von links nach rechts wandert, würden wir an der rechten Messstelle den Beginn des Aktionspotenzials sehen, an einer Messstelle 2 oder 3 cm weiter links das Ende des Aktionspotenzials.

Zusammenfassung

Aktionspotenziale breiten sich dadurch aus, dass sie neue Aktionspotenziale in der benachbarten Region des Axons hervorrufen, die ihrerseits Aktionspotenziale in ihrer Nachbarregion erzeugen und so weiter. Dies erklärt auch, warum sich die Erregung des Axons auf dem Weg vom Axonhügel zur Synapse nicht abschwächt.
Wegen der Refraktärzeit der spannungsgesteuerten Natrium-Kanäle kann die Ausbreitung der Aktionspotenziale nur in einer Richtung erfolgen.

Quellen:

  1. Dudel, Menzel, Schmidt: Neurowissenschaft, Heidelberg 2001.
  2. Bear, Connors, Paradiso: Neurowissenschaften, Springer-Verlag 2018