Helmichs Chemie-Lexikon

Carboxygruppe

Allgemeines

Die Carboxygruppe (früher: Carboxylgruppe, kurz COOH-Gruppe) ist eine wichtige funktionelle Gruppe organischer Verbindungen, sie kommt vor allem in Carbonsäuren vor, die eine, zwei, drei oder auch mehr Carboxygruppen tragen können.

Auf den ersten Blick sieht die Carboxygruppe wie eine Kombination aus Carbonylgruppe und Hydroxygruppe aus. Die Kombination dieser beiden funktionellen Gruppen ergibt jedoch völlig neue Eigenschaften, die weder auf die Carbonylgruppe allein noch auf die Hydroxygruppe allein zutreffen [1]. Beispielsweise (um nur eine dieser neuen Eigenschaften zu nennen), kann die Hydroxygruppe ganz leicht ein Proton abgeben, wenn sie mit der Carbonylgruppe kombiniert ist. Alkane mit einer Carboxygruppe werden daher als Carbonsäuren bzw. Alkansäuren bezeichnet.

Strukturdaten

Strukturdaten der Carboxygruppe, siehe laufenden Text

Strukturdaten der Carboxygruppe

Den Aufbau und die Strukturdaten der Carboxygruppe sieht man gut in der Abbildung 1. Die Strukturdaten wurden dem Buch "Organische Chemie" von Vollhardt und Schore[2] entnommen. Die C=O-Doppelbindung ist mit 120 pm deutlich kürzer als die C-O-Einzelbindung mit 134 pm. Die O-H-Bindung hat nur eine Länge von 97 pm. Die Bindungswinkel sind interessant. Die R-C-O-O-Struktur ist völlig planar, weil das mittlere C-Atom sp2-hybridisiert ist. Dennoch weichen die Bindungswinkel deutlich von den idealen 120 Grad ab. Das liegt an den freien Elektronenpaaren des Sauerstoff-Atoms, die "drücken" die anderen beiden Bindungen des sp2-hybridisierten C-Atoms etwas von sich weg. Daher haben diese Bindungswinkel Werte um 124 Grad. Der Bindungswinkel zwischen dem zentralen C-Atom, dem O-Atom der OH-Gruppe und dem H-Atom der OH-Gruppe liegt mit 106,3 Grad nahezu bei dem Wert des normalen Tetraederwinkels von 109,5 Grad. Die "Verengung" des Winkels auf 106,3 Grad ist ebenfalls auf die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoff-Atoms zurückzuführen.

Chemische Eigenschaften

Betrachten wir nun die chemischen Eigenschaften der Carboxygruppe näher. Durch die beiden elektronegativen Sauerstoff-Atome ist das zentrale C-Atom stark positiv polarisiert, trägt also eine positive Teilladung, während die beiden Sauerstoff-Atome negative Teilladungen tragen.

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Sowohl elektrophile wie auch nucleophile Teilchen können die Carboxygruppe angreifen

Elektrophile Teilchen, also positiv geladene Moleküle oder Ionen, die "auf der Suche" nach negativen Ladungen sind, können die beiden O-Atome der Carboxylgruppe leicht angreifen. Umgekehrt können nucleophile Teilchen, die "auf der Suche" nach positiven Ladungen sind, das zentrale C-Atom angreifen. Damit ist die Carboxygruppe in chemischen Synthesen recht universell einsetzbar. Davon abgesehen gibt es noch einen weiteren wichtigen Reaktionstyp der Carboxygruppe, nämlich die Abspaltung eines Protons von der OH-Gruppe. Die Carboxygruppe kann also sauer reagieren. Warum das so ist, wird weiter unten erläutert.

Nucleophile Sustitution

Das positiv polarisierte zentrale C-Atom der Carboxygruppe kann auf zwei Weisen nucleophil angegriffen werden. Bei der nucleophilen Substitution wird die OH-Gruppe durch eine andere nucleophile Gruppe ersetzt. Die C=O-Doppelbindung kommt dabei aber nicht ungeschoren weg, sondern wird in die Reaktion einbezogen.

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Theoretischer Ablauf einer nucleophilen Substitution bei einer Carbonsäure

Die Reaktion besteht aus zwei Schritten. Im ersten Schritt findet eine nucleophile Addition statt. Die C=O-Doppelbindung wird aufgebrochen, ein H-Atom des Nucleophils HNu lagert sich an das O-Atom der Carbonylgruppe an, wodurch eine zweite OH-Gruppe entsteht. Das C-Atom der Carboxygruppe wird dadurch positiv und addiert dann das Anion Nu- des Nucleophils.

Im zweiten Schritt findet eine Eliminierung statt. Das H-Atom der neu gebildeten OH-Gruppe spaltet sich wieder ab, und die C=O-Doppelbindung bildet sich neu. Die "alte" OH-Gruppe der Carboxygruppe vereinigt sich mit dem abgespaltenem H-Atom zu Wasser. So weit die Theorie.

Bei Carbonsäuren wird der Ablauf der nuclephilen Substitution dadurch gestört, dass das H-Atom der OH-Gruppe leicht als Proton abgespalten werden kann. Die meisten Nucleophile sind gleichzeitig Basen und würden mit diesem Proton reagieren:

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Ein Nuclephil spaltet ein Proton aus der Carboxygruppe ab

Nucleophile Addition eher unwahrscheinlich

Bei den meisten Carbonsäuren ist die nucleophile Addition nur der erste Schritt der nucleophilen Substitution. "Richtige" nuclephile Additionen kommen so gut wie nicht vor, zumindest nicht bei normalen Carbonsäuren. Die beiden OH-Gruppen, die sich nach der Addtion von HNu bilden würden, sind recht instabil und ein energetisch ungünstiger Zustand.

Elektrophiler Angriff ebenfalls unwahrscheinlich

Auch ein "reiner" elektrophiler Angriff ist ziemlich unwahrscheinlich. Wenn sich ein Elektrophil an das Carbonyl-O-Atom anlagert, wird das zentrale C-Atom positiv geladen und somit zum Angriffsziel eines Nucleophils. Und wieder sind wir bei der nucleophilen Substitution.

Protonenabgabe

Die Carboxygruppe kann sehr leicht ein Proton abgeben. Die Ursache hierfür liegt zunächst in der stark polaren Bindung zwischen dem O-Atom und dem H-Atom der OH-Gruppe. Die beiden Bindungselektronen halten sich wegen der hohen EN des O-Atoms statistisch gesehen eher beim O-Atom auf als beim H-Atom. Eine heterolytische Spaltung der OH-Bindung wäre daher kein besonderes Problem, da die beiden Elektronen ja sowieso schon meistens beim O-Atom sind.

Dann stellt sich natürlich die Frage, warum nicht auch Alkohole sauer reagieren, denn Alkohole besitzen ja auch eine OH-Gruppe. Vergleicht man aber die pKS-Werte von Carbonsäuren und Alkoholen, sieht man, dass Carbonsäuren um viele Größenordnungen saurer sind als Alkohole. Alkohole wie Methanol oder Ethanol haben pKS-Werte im Bereich von 14, während Carbonsäuren wie Methansäure oder Ethansäure pKS-Werte im Bereich von  4 bis 5 haben, sie sind also fast 10 Größenordnungen saurer. 10 Größenordnungen heißt nicht "10 mal so sauer", sondern "1010 mal so sauer", also zehn Milliarden mal so sauer; der pKS-Wert ist ja bekanntlich eine logarithmische Größe, ähnlich wie der pH-Wert.

Dass Carbonsäuren ein Proton so leicht abgeben können, hat zwei Hauptgründe.

Induktive Effekte

Das zentrale C-Atom der Carboxygruppe ist mit einem Sauerstoff-Atom verbunden. Dieses wirkt wegen der hohen Elektronegativität elektronenziehend, verringert also die Elektronendichte am zentralen C-Atom, was dadurch ja auch positiv polarisiert wird. Dieser Elektronenmangel zieht nun seinerseits Elektronen aus der O-H-Bindung der Hydroxygruppe ab. Die O-H-Bindung wird dadurch schwächer, und das H-Atom kann leichter als Proton abgespalten werden.

Mesomere Effekte

So schön wie der negative induktive Effekt auch ist, er spielt bei der Acidität der Carboxygruppe nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist der mesomere Effekt. Dazu muss man sich einmal die Struktur des Carboxylat-Ions anschauen, das ja entsteht, wenn eine Carbonsäure ein Proton abspaltet. Es gibt nämlich zwei Grenzstrukturen des Carboxylat-Ions:

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Die beiden Grenzstrukturen des Carboxylat-Ions

Die "energetisch ungünstige" negative Ladung wird so quasi auf "zwei Schultern" verteilt und dadurch stabilisiert. Ein derart mesomerie-stabilisiertes Anion kann sich leichter bilden als ein "normales" Anion, und das erklärt den starken Säurecharakter von Carbonsäuren. Gibt ein Alkohol ein Proton ab, so ist das Alkoholat-Ion nicht mesomerie-stabilisiert.

Quellen:
[1] Lexikon der Chemie, Spektrum-_Verlag 1998.
[2] Vollhardt, Schore: "Organische Chemie", Weinheim 2000.

Quellen:

  1. Lexikon der Chemie, Artikel "Carboxygruppe", Spektrum-Verlag 1998.
  2. Vollhardt, Schore: "Organische Chemie", Weinheim 2000
  3. Römpp Chemie-Lexikon, 9. Auflage 1992