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Zum Begriff "Ökologische Nische"

Definition der ökologischen Nische in Schulbüchern

In drei verschiedenen Schulbüchern der Sekundarstufe II findet man (mindestens) drei unterschiedliche Definitionen des Begriffs "Ökologische Nische". Hier die Definition aus dem Schroedel-Band "Ökologie" der Grünen Reihe:

"In der Evolution haben sich Fähigkeiten und Eigenschaften entwickelt, die es Lebewesen erlauben, einen bestimmten Umweltbereich erfolgreich zu nutzen. Diesen Bereich bezeichnet man als ökologische Nische" (Schroedel, Grüne Reihe Ökologie, S. 45).

Die Definition der Ökologischen Nische in dem Cornelsen-Band "Biologie Oberstufe" liest sich so:

"Die Gesamtheit der Beziehungen zwischen einer Art und ihrer Umwelt nennt man ihre ökologische Nische" (Cornelsen, Biologie Oberstufe, S. 334).

Diese Definition hört sich gut an, ist mir persönlich aber etwas zu stark verallgemeinert, im Grunde kann man nicht so viel damit anfangen. Und hier die Definition aus dem Linder "Biologie":

"Man bezeichnet die Gesamtheit aller biotischen und abiotischen Umweltfaktoren, die für die Existenz einer bestimmten Art wichtig sind, als ökologische Nische der Art" (Linder, S. 88).

Vergleichen wir das mit meiner eigenen Definition in Anlehnung an Hutchinson:

"Die ökologische Nische einer Art ist ihr Präferendum im n-dimensionalen Umweltfaktoren-Raum".

Natürlich finde ich meine Definition am besten, das ist ja klar, aber davon mal abgesehen halte ich die Definition aus dem Linder für ganz brauchbar, obwohl sie nicht sehr präzise ist. Ein Umweltfaktor ist zum Beispiel die Temperatur. Dieser Umweltfaktor ist für die Existenz aller Lebewesen wichtig, aber die Temperatur an sich definiert noch keine ökologische Nische. Gemeint ist doch wohl eher die Intensität des Umweltfaktors bzw. der Intensitätsbereich, den die Lebewesen bevorzugen. Also zum Beispiel eine Temperatur zwischen +5 und +30°C.

Der Begriff der Planstelle

Eine andere Definition des Begriffs "ökologische Nische" ist die der ökologischen Planstelle. Der Begriff Planstelle ist eine sehr pragmatische Beschreibung einer ökologischen Nische.

Betrachtet man einen Biotop, beispielsweise eine Wiese, so gibt es hier für pflanzenfressende Tiere unterschiedliche Planstellen. Eine Tierart frisst zum Beispiel lange und weiche Grashalme, eine andere Tierart hat sich auf kurze und harte Grashalme spezialisiert. Eine dritte Tierart frisst weiche Blätter von niedrig wachsenden Büschen, eine vierte Tierart bevorzugt harte Blätter von niedrigen Büschen, eine fünfte Tierart mag gerne Blätter von Laubbäumen, und eine sechste Tierart bevorzugt Nadelhölzer, die am Rand der Wiese wachsen.

In Schulbüchern werden gerne die verschiedenen Wasservögel in einem See als Beispiel für die Besetzung von ökologischen Planstellen herangezogen. Diese "Besetzung ökologischer Planstellen" bezeichnet man auch als Einnischung. So nischt sich der Drosselrohrsänger ein, indem er Insekten auf der Wasseroberfläche sucht, während der Teichrohrsänger seine Nahrung im Schilf sucht.

Man kann sich gut vorstellen, dass die Natur in jedem Biotop 20, 30 oder mehr Planstellen für Tiere (und Pflanzen) bereithält, die nur darauf warten, besetzt zu werden. Natürlich müssen die Tiere und Pflanzen für diese Planstellen geeignet sein, sonst können sie und ihre Nachkommen nicht in der Planstelle überleben.

Besonders viele Planstellen sind unbesetzt, wenn ein völlig neues Ökosystem "erobert" wird. Als beispielsweise die Fische an Land gingen (Landgang), waren auf dem Festland jede Menge Planstellen - unbesetzte ökologische Nischen - frei. Als die Vögel die Luft eroberten, waren auch hier jede Menge Planstellen frei. Und als vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier ausstarben, wurden plötzlich viele Planstellen frei, die zuvor von verschiedenen Saurier-Arten besetzt waren. Die Säugetiere, die bisher ein Schattendasein führten, konnten jetzt die frei gewordenen Planstellen besetzen.

Stellenäquivalenz und konvergente Entwicklung

Auch das Prinzip der konvergenten Entwicklung passt in diesen Planstellen-Ansatz hinein. Ähnliche Biotope in unterschiedlichen geographischen Regionen halten ähnliche Planstellen bereit. Tiere, die diese Planstellen besetzen wollen, müssen ähnliche Angepasstheiten entwickeln, damit ihnen dieses langfristig gelingt. Ein Tier, das beispielsweise die Planstelle "Im lockeren Boden nach Würmern und Insekten jagen" besetzen will, muss gut graben und gut riechen können, außerdem darf das Fell - falls das Tier ein Säugetier ist und daher ein solches hat - beim Kriechen in engen Röhren nicht stören. Andererseits muss das Tier keinen gut entwickelten optischen Sinn besitzen. In Mitteleuropa wird diese Planstelle vom Maulwurf besetzt. In anderen Regionen der Erde besetzen völlig andere Tiere die gleiche Planstelle, beispielsweise der Beutelmull in Australien oder der Goldmull in Afrika.

Die Planstelle "wir jagen große Säugetiere, indem wir sie im Rudel zu Tode hetzen" wird in Europa und Asien vom Wolf besetzt, in Australien vom (ausgestorbenen) Beutelwolf, in Afrika vom Schakal und in Nordamerika vom Kojoten.

Man spricht hier von einer Stellenäquivalenz. Ich glaube, der Begriff spricht für sich selbst. Die Planstelle "größere Säugetiere gemeinsam zu Tode hetzen und dann aufessen" in Europa ist äquivalent zur Planstelle "größere Säugetiere gemeinsam zu Tode hetzen und dann aufessen" in Afrika, Asien und anderen Erdteilen.

Analogien

Was haben Maulwurf, Beutelmull und Goldmull gemeinsam? Abgesehen davon, dass alle drei Tierarten Säugetiere sind, sind diese Spezies nicht näher miteinander verwandt. Dennoch haben sie ein ähnliches Aussehen und Verhalten. Auch die Säugetiere Wolf, Beutelwolf, Schakal und Kojote sind nicht näher miteinander verwandt, sehen aber dennoch ähnlich aus und verhalten sich auch ähnlich.

Wie kommen diese Ähnlichkeiten zustande?

Nun, auf verschiedenen Kontinenten waren äquivalente Planstellen zu besetzen (Stellenäquivalenz). Verschiedene Tierarten, die "zufällig" in der geographischen Region lebten, in der die Planstellen frei waren, hatten Ärger mit Konkurrenten. Eine gute Möglichkeit, der zwischenartlichen Konkurrenz zu entgehen, ist die ökologische Einnischung. Man ändert seine Gewohnheiten, beispielsweise Ort oder Zeit der Jagd, und setzt sich dadurch von seinen Konkurrenten etwas ab (Konkurrenzvermeidung). Individuen, denen dies besonders gut gelingt, haben größere Überlebens- und Fortpflanzungschancen als Individuen, die sich nicht so gut an die neuen Gegebenheiten anpassen können. Durch Variation und Selektion, den beiden Triebkräften der Evolution, setzen sich die entwickelten Angepasstheiten in den folgenden Generationen immer mehr durch, bis die neue ökologische Nische bzw. Planstelle mehr oder weniger perfekt besetzt ist.

Aufgrund der Stellenäquivalenz stellte die "Eroberung" dieser Planstellen die Tiere auf den verschiedenen Kontinenten vor die gleichen Probleme. Wer Insekten und Würmer im Boden jagen will, muss beispielsweise gut riechen und gut graben können. In der Evolution ist es häufig so, dass gleiche Probleme zu ähnlichen Lösungen führen. Wer gut im Boden graben muss, entwickelt im Laufe vieler Generationen typische Grabbeine. Tiere, die nicht näher miteinander verwandt sind und daher anfangs recht unterschiedlich aussehen (und sich unterschiedlich verhalten), entwickeln ähnliche Angepasstheiten. Sie nähern sich in ihrem Aussehen und Verhalten einander an - konvergente Entwicklung. Im Laufe der Zeit ähneln sich die Arten immer mehr, und ahnungslose Biologen denken dann sogar, dass die Arten eng miteinander verwandt sind, weil sie sich ja so ähnlich sehen. Solche Ähnlichkeiten, die auf der Entwicklung ähnlicher Angepasstheiten infolge der Besetzung äquivalenter Planstellen beruhen, werden als Analogien bezeichnet.