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Evolution ökologischer Nischen

"Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Licht der Evolution!".

Dieser berühmte und auch völlig berechtigte Satz geht auf den großen Evolutionsbiologen Theodosius Dobzhansky (1900 - 1975) zurück. Dobzhansky war nicht nur Biologe, sondern auch ein sehr gläubiger Christ, und er wollte immer klar machen, dass Evolution und Gottesglauben vereinbar sind. Kreationismus hielt er für Gotteslästerung; ein Ansatz, dem ich mich persönlich durchaus anschließen kann.

Im Grunde haben wir den evolutionsbiologischen Ansatz schon kennen gelernt. Die Natur hält verschiedene "Planstellen" bereit, die nur darauf warten, von Tieren oder Pflanzen besetzt zu werden.

Machen wir doch eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit, in die Zeit, als die Fische begannen, das Festland zu erobern. Das Festland war damals von primitiven Pflanzen besiedelt, und auch wirbellose Tiere lebten schon auf dem Land. Es gab nasse Stellen auf dem Land, Moore, Sümpfe, Teiche, Flüsse etc., und auch trockene und sogar sehr trockene Stellen. Es gab flache Länder, Mittelgebirge und Hochgebirge, kalte Regionen, warme Regionen und heiße Regionen. Kurz und gut, das Festland bot eine Vielzahl von unterschiedlichen Lebensmöglichkeiten.

Die ersten Fische, die an Land krochen, interessierte das alles natürlich nicht, sie hatten mit der Schwerkraft zu kämpfen, die die Fortbewegung und das Atmen behinderte, sie hatten mit der Trockenheit zu kämpfen, sie mussten den Sauerstoff aus der Luft herausholen und so weiter. Die ersten 1.000 oder 10.000 Versuche, das Land zu erobern, gingen sicherlich schief. Keiner war dabei, der das hätte dokumentieren können.

Irgendwann klappte es aber, und die Tiere lebten - zumindest zeitweise - an Land, bekamen Nachwuchs, der ebenfalls an Land leben konnte und so weiter. Mit der Zeit wuchs die Population, und die Konkurrenz zwischen den Individuen wurde härter. Solche Konkurrenzsituationen können dazu führen, dass ein Teil der Tiere neue Lebensbereiche aufsucht und sich dann erfolgreich behaupten kann. Dazu müssen die Tiere nicht unbedingt Hunderte von Kilometern zurücklegen, sondern manchmal reicht es auch, einfach eine etwas trockenere Stelle in der unmittelbaren Nachbarschaft zu besiedeln. Die Anforderungen, die die Umwelt hier an die Tiere stellt, sind etwas anders als in dem bisherigen Lebensraum, und nicht alle Individuen der Population kommen mit diesen neuen Umweltbedingungen zurecht. Aber die Individuen der Population unterscheiden sich auf vielfältige Weise (Variabilität), und ein paar Tiere können in dem neuen Lebensraum existieren. Die anderen kehren in den ursprünglichen Lebensraum zurück oder fristen eben ein eher kümmerliches Dasein, haben kaum Nachkommen und sterben daher bald aus.

Im Laufe der Generationen entsteht so eine Teilpopulation, die immer besser an die neuen Lebensbedingungen angepasst ist. Käme jetzt ein Ökologe aus der heutigen Zeit vorbei, würde er sicherlich sagen: "Oh, hier haben die Tiere eine neue ökologische Nische bzw. Planstelle besetzt". Dass dieses "Besetzen" ein langfristiger, viele Generationen dauernder Prozess ist, sieht der Ökologe nicht, er kennt ja nur die Gegenwart.

Was ich hier also etwas richtigstellen möchte, ist folgendes: Das Konzept der Ökologischen Planstelle ist genau das, was der Begriff sagt, ein Konzept. Es gibt keine ökologischen Planstellen in dem Sinne, wie es eine freie Stelle bei der Firma Kolbus in Rahden gibt. Eine Population sieht sich einer starken Konkurrenzsituation ausgesetzt, wobei es egal ist, ob es sich um intraspezifische oder interspezifische Konkurrenz handelt, und das bringt einige Individuen "auf die Idee", ihre Überlebensstrategie zu ändern.

Nicht zu Unrecht steht in jedem guten Evolutionsbiologie-Buch, dass der erste Schritt einer evolutiven Veränderung eine Veränderung des Verhaltens ist. Die Tiere (am Beispiel von Pflanzen kann man das alles nicht so gut erklären, aber das hier Gesagte gilt natürlich auch für Pflanzen, Bakterien und alle anderen Lebewesen) müssen unzufrieden sein mit ihrer gegenwärtigen Situation, sie müssen in einem "suboptimalen" Bereich leben, am Rande des Präferendums oder sogar links oder rechts daneben (wenn man an eindimensionale Toleranzkurven denkt).

Jede Verhaltensänderung, die dazu führt, dass die Lebensbedingungen besser werden, wird belohnt, indem die Tiere größer, fetter, agiler werden und dann auch mehr Nachkommen groß ziehen können. Irgendwann, nach vielen Tausend Generationen, haben die Tiere ihr Aussehen geändert, so dass es auch Nicht-Biologen auffällt, und dann plötzlich reden die Leute von einer "neuen Rasse" oder gar einer "neuen Art", die dann eine "neue ökologische Nische" besetzt hat.