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Herstellung eines Rum-Aromas

In dieser NRW-Abituraufgabe aus dem Jahre 2008 (Grundkurs) geht es um die industrielle Herstellung eines Rum-Aromas aus chemischen Grundstoffen.

Die Aufgabe

Material:

Betrachten wir zunächst kurz das vorgegebene Material, das im NRW-Abitur als "fachspezifische Vorgaben" bezeichnet wird. Zunächst wird kurz erwähnt, dass Backöle pflanzliche Öle sind, in denen bestimmte Aromastoffe gelöst sind, und dass man diese Backöle zur Zubereitung von Speisen verwenden kann. Konkret wird dann erwähnt, dass der Aromastoff des Rum-Aromas der Ameisensäure-ethylester ist.

Im nächsten Abschnitt wird ein industrieller Betrieb erwähnt, der nur folgende Ausgangsstoffe zur Verfügung hat: Kohlenmonoxid CO, Natronlauge NaOH und Ethen C2H4. Diese Art und Weise der Aufgabenstellung finde ich persönlich sehr sympatisch, ich bezeichne dieses Vorgehen immer als "Inselchemie" ("stellen Sie sich vor, Sie wären allein auf einer einsamen Insel und hätten nur folgende Chemikalien zur Verfügung...").

Dann werden die einzelnen Schritte zur Herstellung des Rum-Aromas beschrieben. Im ersten Schritt wird aus NaOH und CO unter hohem Druck das Natriumsalz der Ameisensäure gebildet, HCOONa. Dieses Natriummethanoat wird dann zu Ameisensäure HCOOH umgesetzt. Im Text wird aber nicht erwähnt, wie das funktioniert, das sollen die S. dann in einer der Aufgaben selbst herausfinden.

Jetzt wird es mysteriös. Es wird nur erwähnt, dass "mit einem weiteren im Betrieb vorhandenem Stoff" Ethanol hergestellt wird. Was wird das wohl für ein Stoff sein? Am Anfang wurden ja nur CO, NaOH und C2H4 erwähnt. CO und NaOH wurden schon für die Herstellung von Ameisensäure "verbraucht", also bleibt ja wohl nur das Ethen übrig.

Dass die Veresterung eine Gleichgewichtsreaktion ist, wird im Text erwähnt, auch dass Schwefelsäure Wasser entzieht, wird kurz erläutert. Am Ende wird auf die Abtrennung des Esters aus dem Reaktionsgemisch eingegangen, hierbei spielen die unterschiedlichen Siedetemperaturen der Stoffe eine Rolle, die aber nicht aufgelistet werden.

Aufgabenstellung:

Welche Aufgaben wurden nun im Jahre 2008 gestellt? Schauen wir uns die Aufgabenstellung mal kurz an.

Aufgabe 1

Die S. sollen hier die allgemeine Strukturformel eines Esters zeichnen und den Aufbau eines Esters erläutern. Im zweiten Teil der Aufgabe sollen sie erläutern, wieso sich Ester besonders gut in pflanzlichem Öl lösen.

Aufgabe 2

Hier kommt die "eigentliche" Chemie-Aufgabe, wie ich sie selbst auch liebe. Die S. sollen schrittweise den Reaktionsweg zur Herstellung des Rum-Aromas (also des Ameisensäure-ethylesters) entwickeln und die dazugehörigen Reaktionsgleichungen aufstellen. Dabei sollen Sie berücksichtigen, dass dem Betrieb nur bestimmte Stoffe zur Verfügung stehen.

Aufgabe 3

Hier geht es hauptsächlich um Lernstoff aus der Stufe EF, nämlich um Gleichgewichtsreaktionen. Die S. sollen den Einsatz der Schwefelsäure bei der Produktion des Esters diskutieren, und zwar auch unter betriebswirtschaftlichen Aspekten. Im zweiten Teil der Aufgabe sollen sie dann beurteilen, ob eine Destillation sinnvoll ist, wenn man am Ende der Produktionskette den Ester isolieren will.

Erwartungen

Aufgabe 1

Das Zeichnen der allgemeinen Strukturformel eines Esters und das Erläutern des Aufbaus eines Esters sollte ja wohl nicht allzu schwer sein. Ester lösen sich besonders gut in pflanzlichen Ölen, weil Ester keine freien OH-Gruppen mehr haben - im Gegensatz zu Carbonsäuren und Alkoholen. Daher können sie keine H-Brücken mit Wasser-Molekülen ausbilden, sind also nicht hydrophil, sondern eher lipophil, also fettliebend.

Aufgabe 2

Bei dieser Aufgabe wird erwartet, dass man tatsächlich mit dem Kohlenmonoxid und dem Natrium beginnt:

$NaOH + CO \to HCOONa $

Das Natriummethanoat wird dann mit einer Säure zu Ameisensäure umgesetzt:

$HCOONa + HA \to HCOOH + NaA$

Dabei ist HA eine Säure mit A als Säure-Anion. Bei dieser Reaktion handelt es sich um eine Säure-Base-Reaktion, bei der die stärkere Säure HA ein Proton an den Säurerest der schwächeren Säure (Ameisensäure) abgibt.

Damit hätte man die eine Komponente des Esters schon mal hergestellt. Jetzt muss aber auch der Alkohol Ethanol aus den vorhandenen Rohstoffen synthetisiert werden. Hier kommt dann der dritte Rohstoff, das Ethen, ins Spiel:

$C_{2}H_{4} + H_{2}O \to C_{2}H_{5}OH$

Hierbei handelt es sich um eine elektrophile Addition, in der Wasser an die C=C-Doppelbindung angelagert wird. Eine genaue Beschreibung dieses Reaktionsschrittes wird aber nicht erwartet, es müssen also keine Carbenium-Ionen etc. gezeichnet werden (schade eigentlich...).

Der letzte Reaktionsschritt ist dann die Veresterung:

$HCOOH + C_{2}H_{5}OH \to HCOO-C_{2}H_{5} + H_{2}O$

In einer Kondenstationsreaktion reagieren die Carbonsäure und der Alkohol unter Abgabe von Wasser zum Ester. Bei diesem Reaktionsschritt ist es sinnvoll, die Gleichung auch mit Strukturformeln zu zeichnen. Ein genaues Eingehen auf den Mechanismus der säurekatalysierten Veresterung wurde in den Lehrermaterialien zur Abituraufgabe aber nicht erwartet.

Aufgabe 3

Hier sollen die S. zunächst allgemein beschreiben, was typisch für eine Gleichgewichtsreaktion ist, zum Beispiel dass sie umkehrbar sind und nicht vollständig ablaufen.

Bei einer "Diskussion" sollen immer Pro-Argumente und Contra-Argumente genannt / erläutert werden, am Ende soll eine Schlussfolgerung stehen. Eine persönliche Bewertung ist bei einer "Diskussion" nicht vorgesehen.

Für den Einsatz von Schwefelsäure spricht, dass sie durch den Entzug des Reaktionsprodukts Wasser das Gleichgewicht der Veresterung nach rechts verschiebt, dadurch wird die Ausbeute an Ester gesteigert. Für die Erwähnung oder Erläuterung des Prinzip des kleinsten Zwangs sind keine Punkte vorgesehen. Eine zweite Funktion der Schwefelsäure ist die des Katalysators. Hier reicht es, wenn die S. erwähnen, dass Katalysatoren die Aktivierungsenergie einer Reaktion senken und dadurch die Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen, so dass sich das Ester-Gleichgewicht schneller einstellt.

Gegen den Einsatz von Schwefelsäure spricht, dass sie dem Betrieb nicht zur Verfügung steht und extra dazugekauft werden muss, was erstens zusätzliche Kosten nach sich zieht und zweitens eine weitere Reinigungsstufe erforderlich macht, denn hinterher müssen die Schwefelsäure-Reste wieder entfernt werden.

Als Schlussfolgerung wird dann erwartet, dass sich der Einsatz von Schwefelsäure unter betriebswirtschaftlichen Aspekten am Ende lohnt, denn es ist wichtig, dass man in kurzer Zeit eine möglichst hohe Ausbeute an Rum-Aroma erzielt.

Im zweiten Teil der Aufgabe sollen die S. angeben, dass sich eine Destillation durchaus eignet, denn das Reaktionsprodukt (der Ester) hat auf Grund seiner unpolaren Struktur einen deutlich niedrigeren Siedepunkt als die Ausgangsstoffe Ethanol und Ameisensäure.

Fazit

Insgesamt eine sehr schöne Aufgabe, finde ich. Ich persönlich hätte starke Schwierigkeiten, selbst eine solche Aufgabe zu konstruieren. Also Hut ab vor den Kollegen, die sich die Arbeit machen, solche Aufgaben zu entwickeln!

Abitur NRW

Die Aufgaben von 2007 bis 2012 stehen online nicht mehr zur Verfügung, jedenfalls nicht mehr offiziell. Man munkelt ja, dass die alten Aufgaben irgendwann wiederverwertet werden. Ich persönlich kann mir das aber nicht vorstellen, weil sich inzwischen ja die Kernlehrpläne vollständig geändert haben. Wissen spielt ja fast so gut wie keine Rolle mehr, dafür jede Menge Kompetenzen, die in den zentralen Abituraufgaben überprüft werden sollen. Ich muss da immer an den Spruch eines Bildungsforschers denken, der gesagt hatte "Kompetenzen ohne Fachwissen ist wie Stricken ohne Wolle". Ich bin ja schon mal gespannt auf die nächsten NRW-Aufgaben.