Helmichs Chemie-Lexikon

Dipol-Dipol-Wechselwirkung

Versuch

Im Chemieunterricht wird zur Einführung des Begriffs "Dipol" oder "Dipol-Dipol-Wechselwirkung" meistens folgender einfacher Versuch durchgeführt:

Versuch
Ablenkung eines Wasserstrahls
Durchführung:

An einem Stativ wird eine mit Leitungswasser gefüllte Bürette befestigt, unter die Bürette stellt man ein leeres Becherglas. Eine Plastikfolie oder -hülle wird mit einem Stofflappen mehrfach gerieben (stets in die gleiche Richtung!).

Dann lässt man einen dünnen Wasserstrahl aus der Bürette in das Becherglas laufen und hält die Plastikfolie oder -hülle in die Nähe des Wasserstrahls. Das Plastik darf den Wasserstrahl dabei aber nicht berühren.

Beobachtung:

Der Wasserstrahl wird von dem Plastik angezogen. Hier ein kurzes Video dazu.

Erklärungen zum Versuch

Wasser-Moleküle verhalten sich wie Dipole. Die Moleküle haben ein positiv geladenes Ende und ein negativ geladenes. Das negativ geladene Ende besteht aus dem stark elektronegativen Sauerstoff-Atom mit seinen zwei freien Elektronenpaaren. Das positiv geladene Ende setzt sich aus den beiden Wasserstoff-Atomen zusammen.

Durch das Reiben wird die Plastikfolie elektrisch aufgeladen, wobei es völlig egal ist, ob sie sich positiv oder negativ auflädt.

Beschreibung siehe folgenden Text

Anziehung eines Wasserstrahls durch eine negativ geladene Folie
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Hält man nun die elektrisch geladene Folie an den Wasserstrahl, so drehen sich alle Wasser-Dipole so, dass ihr positives Ende in Richtung der negativ geladenen Folie zeigt. Ist die Folie dagegen positiv geladen, drehen sich die Wasser-Dipole so, dass ihr negatives Ende zur Folie zeigt.

Positive und negative Ladungen ziehen sich an, daher wird der Wasserstrahl nun in Richtung der Folie gezogen, egal ob die Folie negativ oder positiv geladen ist.

 

Van-der-Waals-Kräfte und Dipol-Dipol-Wechselwirkungen

Betrachtet man nicht-geladene Moleküle, so kann man im Prinzip drei Arten von schwachen Wechselwirkungen sehen, wenn man die Wasserstoffbrücken-Bindungen einmal außen vor lässt, die ja auch zu den schwachen chemischen Bindungen gehören.

Keesom-Wechselwirkung

Am stärksten sind die Wechselwirkungen zwischen zwei permanenten Dipolen, beispielsweise zwischen zwei Aceton- Molekülen.

Beschreibung siehe folgenden Text

Dipol-Dipol-Wechselwirkung zwischen zwei permanenten Aceton-Dipolen
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Die Sauerstoff-Atome (rot) ziehen die Bindungselektronen der C=O-Doppelbindung stärker an sich als die mittleren C-Atome. Die C=O-Doppelbindung ist also recht polar, was dazu führt, das das gesamte Aceton-Molekül ein permanenter Dipol ist. Wasserstoffbrücken-Bindungen können Aceton-Moleküle untereinander jedoch nicht bilden, dazu fehlen die H-Atome, die an ein elektronegatives O- oder N-Atom gebunden sind. Alle H-Atome des Acetons sind an ein C-Atom gebunden; das reicht nicht aus, um H-Brücken zu bilden.

Diese Art der Wechselwirkung wurde nach nach Willem Hendrik Keesom 1930 als Keesom-Wechselwirkung bezeichnet. Im Schulunterricht und auch an den meisten Hochschulen ist jedoch der Begriff Dipol-Dipol-Wechselwirkung gebräuchlicher, manchmal auch Dipol-Dipol-Kraft.

Debye-Wechselwirkung

Ein permanenter Dipol wie Aceton kann auch völlig unpolare Moleküle oder Atome anziehen, indem er in diesen Teilchen einen Dipol induziert. Zwischen Aceton und Pentan bestehen zum Beispiel solche Wechselwirkungen, die als Debye-Wechselwirkungen bezeichnet werden und quasi ein Mittelding zwischen Dipol-Dipol-Wechselwirkungen und van-der-Waals-Wechselwirkungen sind.

Beschreibung siehe folgenden Text

Debye-Wechselwirkung zwischen Acetion und Pentan
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Der permanente Aceton-Dipol verdrängt die Elektronen des Pentan-Moleküls, so dass dort ein temporärer Dipol entsteht (blaue Pfeile).

Ein anderes Beispiel ist das Brom-Molekül Br2, das leicht zu einem temporären Dipol umgewandelt werden kann, wenn es in die Nähe einer elektronenreichen C=C-Doppelbindung kommt, wie es beispielsweise bei der Bromierung eines Alkens der Fall ist. Die Doppelbindung zieht den Br2-Dipol dann an.

London-Kräfte

London-Kräfte bestehen zwischen Molekülen oder Atomen, die absolut nicht polar sind, also keinen permanenten Dipol darstellen. Das klassische Beispiel sind zwei H2-Moleküle. Im Chemie-Unterricht der Stufe EF werden London-Kräfte gerne bei der Behandlung des Themas "Die Alkane" eingeführt. Allerdings ist es im Schulunterricht üblich, diese Wechselwirkung als van-der-Waals-Wechselwirkungen oder -Kräfte zu bezeichnen.

Dipol-Moment

Das Dipol-Moment ist ein quantitatives Maß für die Stärke eines permanenten Dipols. Es hängt vor allem von zwei Faktoren ab: Dem EN-Unterschied zwischen den an der polaren Bindung beteiligten Atomen und der Geometrie der Moleküle.

Je größer der EN-Unterschied zwischen den relevanten Atomen des Dipols ist, desto größer ist das Dipolmoment.

Beschreibung siehe folgenden Text

Veranschaulichung des Dipolmoments am Beispiel Wasser-Molekül
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Im Physikunterricht wird das das Kräfte-Parallelogramm besprochen. Ähnlich verfährt man bei der Bestimmung des Dipol-Moments. Die beiden durchgezogenen blauen Pfeile symbolisieren die Stärke der polaren Bindung zwischen Wasserstoff und Sauerstoff. In der Chemie ist es üblich, den Pfeil von der positiven zur negativen Ladung zu ziehen - genau umgekehrt wie in der Physik. Um die Stärke und die Richtung des Dipol-Moments zu bestimmen, kann man sich dieser Kräfte-Parallelogramm-Methode bedienen.

Das Dipol-Moment eines Moleküls wird in Debye gemessen. Hier einige interessante Werte für bekannte Moleküle [2]:

  • Wasser H-O-H: 1,84
  • Schwefelwasserstoff H-S-H: 0,97
  • Fluorwasserstoff H-F: 1,83
  • Chlorwasserstoff H-Cl: 1,11
  • Bromwasserstoff H-Br: 0,83
  • Iodwasserstoff H-I: 0,45
  • Natriumchlorid Na+ Cl-: 8,5

Am Beispiel der vier Halogenwasserstoffe kann man gut sehen, welchen Einfluss die EN-Differenz auf das Dipol-Moment hat (EN = Elektronegativität). Beim Fluorwasserstoff ist die EN-Differenz am größten, hier ist auch das Dipol-Moment am größten.

Natriumchlorid als Ionenverbindung gehört eigentlich nicht in diese Übersicht, aber trotzdem ist die Sache interessant: Wäre NaCl ein Molekül, hätte es ein gewaltiges Dipol-Moment, weil die EN-Differenz extrem hoch ist.

Quellen:

  1. Römpp Chemie-Lexikon, 9. Auflage 1992
  2. Wikipedia, Artikel "elektrisches Dipolmoment"