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Transduktion beim Gehör

Haarzellen im Innenohr

Schallwellen, die ins Außenohr gelangen, werden zunächst mechanisch verstärkt. Als erstes versetzen sie das Trommelfell in Schwingungen. Das Trommelfell ist dann mit den Gehörknöchelchen verbunden, welche die Schwingungen verstärkt an das ovale Fenster weiterleiten. Das ovale Fenster ist ein dünnes Häutchen in der Cochlea, der Gehörschnecke. Die Gehörschnecke ist mit einer Flüssigkeit gefüllt, die nun in Schwingungen versetzt wird. Die Schwingungen dieser Flüssigkeit versetzen wiederum die Tektorialmembran in Schwingungen, die mit den Cilien der Haarzellen verbunden ist.

Haarzellen in der Gehörschnecke
Quelle: Wikipedia. Autor: Madhero88
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Die folgende Abbildung zeigt, wie die Haarzellen auf Ablenkungen nach rechts bzw. links reagieren.

siehe folgenden Text

Reaktion einer Haarzelle auf Auslenkung nach rechts und links
Quelle: Wikipedia, Autor: Schneider00, ergänzt von Ulrich Helmich nach Campbell.
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Die Cilien der Haarzellen sind durch sogenannte tip-links miteinander verbunden, das sind Proteinbrücken, die nicht nur die Cilien einer Haarzelle zusammenhalten, sondern die auch noch mit speziellen Kaliumkanälen in der Membran der Cilien verbunden sind. Diese Kaliumkanäle sind also mechanisch gesteuerte Ionen-Kanäle.

Im Ausgangszustand (obere Reihe) sind die Proteinbrücken zwischen den Cilien entspannt. Die Kaliumkanäle so weit geöffnet, dass sich ein Ruhepotenzial von ca. -70 mV einstellt. Interessant ist jetzt aber, dass die sensorischen Neurone, die über Synapsen mit den Haarzellen verbunden sind, eine konstante Zahl von Aktionspotenzialen pro Sekunde liefern, in der Abbildung 1 aus der Wikipedia sind das 5 Aktionspotenziale in 8 ms, also 625 Aktionspotenziale pro Sekunde.

Werden die Cilien der Haarzellen in Richtung der längsten Cilie abgelenkt (auf der Abbildung 2 also nach rechts), findet eine Depolarisierung der Membran der Haarzelle statt. Die speziellen Kaliumkanäle öffnen sich weiter als im Ruhezustand, und Kalium-Ionen strömen in die Zelle ein, was zu einer Depolarisierung führt. Die AP-Frequenz der Haarzelle steigt auf 9 in 8 ms bzw. auf 1125/s.

Wieso strömen Kalium-Ionen in die Zelle?

Normalerweise müsste es zu einem Ausströmen von K+-Ionen kommen, wenn sich Kaliumkanäle öffnen. Die Haarzellen des Innenohrs sind aber in ein extrem kaliumhaltiges Außenmedium eingebettet, die Endolymphe, deren K+-Konzentration mit 144 mmol/l höher ist als die K+-Konzentration in den Haarzellen [3]. Verantwortlich für diese hohe K+-Konzentration ist die Stria vascularis an der Außenwand des Ductus cochlearis (Schneckengang) in der Cochlea (Schnecke) des Innenohres [4]. Ein Na-K-2Cl-Cotransporter pumpt Kalium-Ionen in die Endolymphe. Durch die hohe K+-Konzentration bildet sich zwischen Endolymphe und der Flüssigkeit in den äußeren Bereichen (Perilymphe) eine Spannung von ca. +80–90 mV [4, 5]. Mit anderen Worten: Die Endolymphe ist ziemlich positiv aufgeladen. Kein Wunder, dass dann Kalium-Ionen in die Cilien der Haarzellen "gestoßen" werden.

Eine Ablenkung der Cilien in Richtung der kürzesten Cilie, also in die entgegengesetzte Richtung, führt dazu, dass sich die mechanisch gesteuerten Kaliumkanäle komplett schließen. Es können keine Kalium-Ionen mehr aus der Endolymphe einströmen, und die Natrium-Kalium-Pumpe schafft eingedrungene Kalium-Ionen wieder nach außen, was dann zu einer Hyperpolarisierung der Membran führt. Die AP-Frequenz sinkt hier, zumindest laut Abbildung 2, auf 3 in 8 ms bzw. 375/s.

In beiden Fällen - Ablenkung nach links oder rechts - sorgt die Natrium-Kalium-Ionenpumpe für eine schnelle Wiederherstellung des Ruhepotenzials.

Wie kommt es zu den Aktionspotenzialen?

Die Sache ist etwas komplizierter, als es zunächst den Anschein hat. Die Haarzellen selbst bilden gar keine Aktionspotenziale, schütten aber Neurotransmitter aus, die die folgende Zelle dazu bringen, Aktionspotenziale zu produzieren.

Wenn Kalium-Ionen in die Haarzelle eindringen, führt das zu einer Depolarisation. Diese Depolarisation aktiviert spannungsabhängige Calciumkanäle. Calcium-Ionen dringen in die Zelle ein und sorgen - ähnlich wie im synaptischen Endknöpfchen der motorischen Endplatte ("Schulbuch-Synapse") für die Fusion synaptischer Vesikel mit der präsynaptischen Membran im unteren Bereich der Haarzellen. Als Neurotransmitter wirkt hier Glutamat [5].

Erst die nachfolgenden Zellen, also die Nervenzellen, die durch den ausgeschütteten Neurotransmitter Glutamat aktiviert werden, erzeugen dann die Aktionspotenziale, die in der Abb. 2 zu sehen sind.

Weitere Einzelheiten zu den Cilien der Haarzellen

Minimale Ablenkung der Cilien

Das Gehör des Menschen ist extrem empfindlich. Die Cilien der Haarzellen können sich maximal 20 nm nach links oder rechts bewegen. Das Ruhepotenzial der Haarzellen wird dadurch aber nur minimal verändert. Bei maximaler Ausrichtung in die eine Richtung steigt es von -70 mV auf -67 mV, bei maximaler Ausrichtung in die andere Richtung sinkt es von -70 mV auf ca. -71 mV. Damit sich die Haarzellen so stark biegen, muss schon ein extrem lauter Schall auf das Ohr treffen. Töne, die man gerade noch hören kann, bewegen die Cilien nur um 0,3 nm nach links oder rechts. Das ist fast gar nichts, manche Atome sind größer! Trotzdem reicht diese winzige Auslenkung, das das Gehirn einen Ton registriert [5].

Schallwellen

Schallwellen muss man sich wie Wellen in einem See vorstellen. Es geht regelmäßig auf und ab bzw. der Luftdruck nimmt regelmäßig zu bzw. wird geringer. Wenn also Geräusche auf das Ohr treffen und im Innenohr die Cilien der Haarzellen abgelenkt werden, schwanken sie viele Hundert Male pro Sekunde in beide Richtungen. Wenn gerade ein Wellenberg ankommt, werden sie in die eine Richtung gebogen, beim folgenden Wellental biegen sie sich in die andere Richtung.

Quellen:

  1. Wikipedia, Artikel "Große Wanderspinne", abgerufen am 24.10.2020
  2. Grüne Reihe Neurobiologie, Westermann-Verlag 2015
  3. Spektrum-Lexikon der Neurowissenschaften, Artikel "Endolymphe"
  4. Wikipedia, Artikel "Stria vascularis"
  5. Bear, Connors, Paradiso: Neurowissenschaften, Springer-Verlag 2018