Helmichs Chemie-Lexikon

Elektroaffinität

Unter dem Begriff Elektronenaffinität versteht man die Energie, die freigesetzt wird, wenn ein Atom ein zusätzliches Elektron aufnimmt. Damit ist die Elektronenaffinität quasi das Gegenstück zur Ionisierungsenergie. Die Elektronenaffinität kann als Maß dafür verstanden werden, wie stark ein neutrales Atom (oder auch ein neutrales Molekül) ein weiteres (zusätzliches) Elektron binden kann[1].

Eine alternative Definition ist die folgende: Elektronenaffinität ist die Energie, die man aufwenden muss, um ein Elektron aus einem Anion zu entfernen[2]. Man könnte die Elektronenaffinität daher auch als Ionisierungsenergie eines Anions beschreiben.

Noch genauer ist da der RÖMPP[1]. Hier wird die Elektronenaffinität definiert als der Energieunterschied zwischen dem Grundzustand des neutralen Atoms und dem Grundzustand des entsprechenden Anions.

Die höchsten Elektronenaffinitäten haben natürlich die Atome, dennen nur noch ein oder zwei Elektronen zur Vervollständigung der Außenschale haben, also die Halogene sowie die Elemente der 6. Hauptgruppe (Sauerstoff, Schwefel etc.). Chlor hat mit einem Wert von -3,617 eV die höchste Elektronenaffinität, gefolgt von Fluor (-3,399), Brom (-3,365)und Iod (-3,059)[1]. Das negative Vorzeichen rührt daher, dass die Atome bei der Aufnahme eines Elektrons Energie abgeben; der Vorgang ist exotherm.

Umgekehrt haben die Alkalimetalle und die Erdalkalimetalle die geringste Elektronenaffinität. Diese Metalle "wollen" ja keine zusätzlichen Elektronen aufnehmen, sondern im Gegenteil ihre Außenelektronen abgeben (Oktettregel). So hat Natrium eine Elektronenaffinität von nur -0,548 eV[1].

Die Erdalkalimetalle haben sogar positive Werte: Magnesium und Beryllium +0,20 eV, Calcium +0,10 eV, Strontium +0,05 eV und Barium +0,15 eV[3].

Für Experten:

Eigentlich sollten ja die Alkalimetalle eine geringere Elektronenaffinität haben als die Erdalkalimetalle, weil die Alkalimetalle ja nur ein einziges Elektron abgeben müssen, um in den Edelgaszustand zu gelangen. Mit dem Schalenmodell oder dem Kugelwolkenmodell kann man diesen Sachverhalt nicht mehr erklären, dazu benötigt man das Orbitalmodell. Nach dem Orbitalmodell befindet sich bei den Alkalimetallen nur ein Elektron in dem s-Orbital der Außenschale. Angestrebt werden aber zwei Elektronen in diesem s-Orbital. Genau das ist bei den Erdalkalimetallen erfüllt. Daher ist bei den Erdalkalimetallen der "Drang", weitere Elektronen aufzunehmen, nicht so groß wie bei den Alkalimetallen, die ihr s-Orbital mit zwei Elektronen besetzen "möchten".

Lithium hat beispielsweise eine EA von -60 kJ/mol[4]; bei der Aufnahme eines zusätzlichen Elektrons wird also Energie freigesetzt. Das Li-Atom hat ein einfach besetztes 2s-Orbital, was energetisch ungünstig ist. Das Li--Ion hat dagegen ein doppelt besetztes 2s-Orbital, und das ist energetisch günstiger.

Beryllium andererseits hat bereits ein doppelt besetztes 2s-Orbital, die p-Orbitale sind leer. Durch Aufnahme eines weiteren Elektrons wird eine energetisch ungünstigere Konfiguration mit einem einfach besetzten p-Orbital erreicht. Daher ist ein Be-Atom nicht so "begierig" darauf, ein weiteres Elektron aufzunehmen. Entsprechend hat die EA einen positiven Wert, nämlich +19 kJ/mol[4]. Das heißt, die Aufnahme eines Elektrons ist ein endothermer Prozess.

Fluor hat mit -328 kJ/mol[4] eine sehr große Elektronenaffinität. Das ist ja auch kein Wunder, da die Elektronenkonfiguration des Fluor-Atoms sehr ungünstig ist. Es fehlt nur noch ein einziges Elektron, um die Außenhülle zu vervollständigen.

Quellen:

  1. Römpp Chemie-Lexikon, 9. Auflage 1992
  2. Spektrum Lexikon der Physik, 1998
  3. Wikipedia
  4. www.chemie.de