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Theoretische Wirkorte und Wirkweisen

Ein sehr beliebtes Abiturthema sind die vielen Giftstoffe, Drogen und Medikamente, die an der motorischen Endplatte (der "Schulbuchsynapse", wie ich immer sage) angreifen.

Eine gute Übung - gerade für Abiturienten - ist es, sich einmal vorzustellen, an welchen Stellen die Vorgänge an der motorischen Endplatte beeinflusst werden können. Hier gibt es zwei verschiedene Vorgehensweisen:

1. Entweder geht man die synaptischen Prozesse Schritt für Schritt durch und fängt zum Beispiel bei den Calcium-Kanälen an. Was würde passieren, wenn die spannungsgesteuerten Calcium-Kanäle gehemmt werden? Dann macht man weiter mit den kontraktilen Proteinen, die die synaptischen Vesikel zur präsynaptischen Membran befördern und so weiter.

2. Oder man überlegt sich systematisch verschiedene Effekte, die Drogen, Medikamente oder Giftstoffe bewirken könnten und denkt dann darüber nach, was passieren muss, damit diese Effekte eintreten.

Ich möchte hier einmal den zweiten Weg einschlagen, weil er Sie besser auf mögliche Klausur- und Abituraufgaben vorbereitet.

Typische Abituraufgaben zum Thema Synapsengifte sehen oft so aus, dass Ihnen eine Graphik gezeigt wird, zum Beispiel Rezeptorpotenziale der postsynaptischen Zelle, einmal ohne Gift, einmal mit Gift, und Sie müssen dann eine oder mehrere Möglichkeiten diskutieren, die zu diesen Abweichungen im Rezeptorpotenzial führen können.

Denkbare Wirkungen von Drogen und Arzneimitteln auf die synaptische Übertragung an der motorischen Endplatte

Ich stelle Ihnen zunächst die jeweilige denkbare Wirkung vor, dann folgen plausible Hypothesen, wie bzw. wodurch diese Wirkung erreicht werden könnte.

1. Keine Ausschüttung von Neurotransmittern

Bei dieser denkbaren Wirkung von Giftstoffen, Drogen oder Medikamenten wird die Ausschüttung von Neurotransmittern verhindert, so dass an der postsynaptischen Membran keine EPSPs oder IPSPs entstehen können. Eine Informationsweiterleitung unterbleibt daher.

  • Manchmal wird dadurch eine Schmerzweiterleitung verhindert, viele Schmerzmittel wirken auf genau diese Weise.
  • Bei "richtigen" Giften dagegen werden Herzmuskelzellen oder andere wichtige Zellen bzw. Gewebe nicht mehr korrekt angesteuert; Tod durch Herzstillstand, Erstickung etc. kann die Folge sein.

Durch welche Mechanismen kann es nun dazu kommen, dass die Ausschüttung von Neurotransmittern unterbunden wird?

1.1 Hemmung der spannungsgesteuerten Calcium-Kanäle

Wenn die spannungsgesteuerten Calcium-Kanäle nicht mehr richtig arbeiten, können keine Calcium-Ionen mehr in das synaptische Endknöpfchen eindringen, und die Fusion der synaptischen Vesikel mit der präsynaptischen Membran wird verhindert. Neurotransmitter können so nicht mehr ausgeschüttet werden.

Rein theoretisch gibt es mehrere Möglichkeiten, wie die spannungsgesteuerten Calcium-Kanäle gehemmt werden können:

  • Veränderung der Struktur der Calcium-Kanäle, so dass sie sich zum Beispiel nicht öffnen können, wenn ein Aktionspotenzial ankommt.
  • Blockierung der Calcium-Kanäle durch Teilchen, die Calcium-Ionen in Ladung und Größe ähneln. Eine reversible kompetitive Hemmung der Calcium-Kanäle wäre zwar theoretisch möglich, in der Fachliteratur findet man jedoch kein Beispiel dafür. Die bisher bekannten Hemmstoffe blockieren die Calcium-Kanäle irreversibel.
    Allerdings soll die Industriechemikalie Bisphenol A (BPA), die weltweit für die Herstellung von bestimmten Kunststoffen eingesetzt wird, nach einem Artikel aus zm online spannungsgesteuerte Calciumkanäle reversibel blockieren.
  • Blockierung der Calcium-Pumpe, die die Calcium-Ionen wieder aus dem Endknöpfchen heraus transportiert.
    Wenn diese Pumpe nicht mehr arbeitet, müsste die Calcium-Ionen-Konzentration im Endknöpfchen immer mehr ansteigen, so dass der Ca2+-Konzentrationsgradient, der ja von außen nach innen gerichtet ist, immer kleiner wird. Dadurch würde dann der Einstrom von Calcium-Ionen immer schwerer fallen.
1.2 Hemmung der Neurotransmitter-Synthese.

Wenn keine Neurotransmitter mehr synthetisiert werden, können logischerweise auch keine Neurotransmitter in den synaptischen Spalt ausgeschüttet werden. Auch hier sind theoretisch mehrere Mechanismen denkbar, die zu diesem Effekt führen:

  • Synthese einer Neurotransmitter-Vorstufe wird gehemmt, bei der motorischen Endplatte wird zum Beispiel wird kein Cholin mehr für die Synthese von Acetylcholin gebildet.
  • Das Enzym, welches den Neurotransmitter synthetisiert, wird gehemmt (allosterisch oder kompetitiv) oder irreversibel vergiftet (zum Beispiel durch Schwermetall-Ionen).
  • Das Enzym, welches den Neurotransmitter in die synaptischen Vesikel transportiert, wird gehemmt (allosterisch oder kompetitiv) oder irreversibel vergiftet (zum Beispiel durch Schwermetall-Ionen).
1.3 Behinderung der Vesikelbildung, des Vesikeltransports oder der Vesikelfusion

Auch hier sind wieder mehrere Mechanismen denkbar, zumindest theoretisch:

  • Hemmung der Bildung von synaptischen Vesikeln.
  • Hemmung des Transports der synaptischen Vesikel zur präsynaptischen Membran.
  • Hemmung der Fusion der synaptischen Vesikel mit der präsynaptischen Membran. Konkretes Beispiel: Botulinumtoxin.

2. Kein Einstrom von Natrium-Ionen in die postsynaptische Membran

Wenn durch die postsynaptischen Natrium-Kanäle keine Natrium-Ionen mehr in die Zelle einströmen, ist die Synapse ist absolut wirkungslos. Die Folgen sind ähnlich wie bei der gehemmten Neurotransmitter-Ausschüttung; im günstigen Fall wird eine Schmerzweiterleitung unterdrückt, im schlimmsten Fall Tod durch Atemlähmung oder Herzstillstand.

Rein theoretisch gibt es mehrere Möglichkeiten, wie der Einstrom von Natrium-Ionen in die Empfängerzelle gehemmt werden kann:

2.1 Ausschüttung modifizierter Neurotransmitter

Es werden Neurotransmitter-Moleküle synthetisiert und ausgeschüttet, die in ihrer Struktur leicht von den ursprünglichen Neurotransmitter-Molekülen abweichen. Diese modifizierten Neurotransmitter passen dann nicht mehr in die Rezeptor-Stellen der Natrium-Kanäle (Schlüssel-Schloss-Prinzip). Wenn man etwas überlegt, kommt man auch hier auf mehrere Mechanismen, die so etwas bewirken können. Ich zähle mal zwei dieser Mechanismen auf, es gibt vielleicht auch noch andere Mechanismen:

  • Veränderung des Enzyms, welches für die Synthese der Neurotransmitter verantwortlich ist, so dass veränderte Neurotransmitter hergestellt werden.
  • Nachträgliche chemische Veränderung der fehlerfrei hergestellten Neurotransmitter durch den Giftstoff, die Droge oder das Medikament.
2.2 Veränderung der Rezeptoren für die Neurotransmitter

Es werden zwar intakte Neurotransmitter ausgeschüttet, aber die Rezeptoren der Natrium-Kanäle sind verändert, so dass die Neurotransmitter nicht mehr hinein passen.

2.3 Kompetitive Hemmung der Rezeptoren

Die Droge oder das Medikament hat eine ähnliche Struktur wie der eigentliche Neurotransmitter und besetzt daher die Rezeptoren der Ionenkanäle der postsynaptischen Membran, aber diese öffnen sich daraufhin nicht. Der eigentliche Neurotransmitter kommt nun nicht zum Zuge, da er mit den Fremdstoffen um die Rezeptoren konkurrieren muss.

2.4 Blockade der Natrium-Kanäle

Die Neurotransmitter sind intakt, die Rezeptor-Stellen der Natrium-Kanäle ebenfalls, aber die Natrium-Kanäle selbst sind so verändert, dass sie sich nicht mehr öffnen können.

3. Ständiger Einstrom von Natrium-Ionen

Die postsynaptischen Natrium-Kanäle sind ständig offen, sie schließen sich nicht mehr. Die postsynaptische Membran ist ständig depolarisiert (Dauererregung). Die Folgen können teils gravierend sein, je nachdem, wofür die postsynaptische Zelle verantwortlich ist. Muskelkrämpfe, ständige Schmerzen und viele andere Folgen sind denkbar.

3.1 Übermäßige Freisetzung von Neurotransmittern

Wenn zu viele Neurotransmitter in den synaptischen Spalt freigesetzt werden, führt dies dazu, dass viele Natrium-Kanäle der postsynaptischen Membran geöffnet sind und folglich zu viele Natrium-Ionen in die postsynaptische Membran einströmen. Theoretisch können diese Mechanismen dazu führen:

  • Überproduktion von Neurotransmittern im synaptischen Endknöpfchen. Wenn ein Aktionspotenzial ankommt, werden viel mehr Neurotransmitter in den synaptischen Spalt ausgeschüttet als normalerweise.
  • Die synaptischen Vesikel werden schneller zur präsynaptischen Membran transportiert oder die Fusion der Vesikel mit der Membran wird beschleunigt.
3.2 Na+-Kanäle können sich nicht mehr schließen

Falls sich die Natrium-Kanäle der postsynaptischen Membran nicht mehr schließen können, wenn die Neurotransmitter-Moleküle die Rezeptoren verlassen haben, führt das zu einem ständigen Einstrom von Natrium-Ionen, solange der Konzentrationsgradient besteht.

  • Die Natrium-Kanäle sind derart verändert (mutiert), dass sie sich nicht mehr schließen können.
  • Die Natrium-Kanäle sind durch Teilchen besetzt, die den Neurotransmitter-Molekülen ähnlich sehen, sich jedoch nicht mehr aus den Rezeptor-Stellen lösen.
  • Die Natrium-Kanäle sind durch Teilchen besetzt, die den Neurotransmitter-Molekülen ähnlich sehen und sich auch aus den Rezeptor-Stellen lösen können, dann aber nicht von dem Enzym abgebaut werden können, das für den Abbau der Neurotransmitter zuständig ist.
3.3 Hemmung des Enzyms, das die Neurotransmitter wieder abbaut

Wenn das Enzym, das für den Abbau der Neurotransmitter verantwortlich ist, gehemmt wird, dann führt das zu einer Anreicherung von Neurotransmitter-Molekülen im synaptischen Spalt. Die Natrium-Kanäle sind dann ständig von Neurotransmitter besetzt, und Natrium-Ionen strömen ständig in die postsynaptische Membran ein.

3.4 Hemmung des Transportproteins, das die Neurotransmitter wieder in das synaptische Endknöpfchen aufnimmt

Wenn die Neurotransmitter des synaptischen Spalts bestimmter Synapsen nicht mehr zur Wiederverwertung vom Endknöpfchen aufgenommen werden, reichern sich diese Neurotransmitter im synaptischen Spalt an. Die Folgen sind die gleichen wie bei 3.3, es strömen also ständig Natrium-Ionen ein, was eine Dauererregung zur Folge hat.

3.5 Das Gift hat eine ähnliche Struktur wie der reguläre Neurotransmitter

Wenn die Moleküle des Giftes, der Droge oder des Medikamentes eine ähnliche Struktur wie der eigentliche Neurotransmitter haben, setzen sie sich in die Neurotransmitter-Rezeptoren der postsynaptischen Membran und öffnen die entsprechenden Ionenkanäle. Die Wirkung dieser Moleküle kann nun wesentlich effektiver sein als die der eigentlichen Neurotransmitter, weil

  • sie vielleicht besser in die Rezeptoren hineinpassen; dies ist beispielsweise bei der Droge LSD der Fall, die eine ähnliche Struktur wie der Neurotransmitter Serotonin hat,
  • sich nicht wieder aus den Rezeptoren herauslösen, so dass die Ionenkanäle ständig geöffnet sind,
  • nicht von den Enzymen abgebaut werden, welche die eigentlichen Neurotransmitter unschädlich machen.