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4. Säure-Base-Verhalten

Allgemeines - Nomenklatur - phys. Eigenschaften - S/B-Verhalten

4.1 Rekapitulation Schulwissen

In den meisten Schulbüchern für die gymnasiale Oberstufe werden wir nicht viel über das Säure-Base-Verhalten von Alkoholen finden. Manchmal taucht Ethanol in einer Liste mit pKS-Werten auf, wenn gerade das Thema "schwache Säuren" behandelt wird, und oft wird die Protonierung eines Alkohols behandelt, wenn es um die Nucleophile Substitution einer OH-Gruppe oder die Eliminierung von Wasser aus einem Alkohol geht. Explizit erwähnt oder gar als eigenes Thema behandelt wird die Acidität oder Basizität von Alkoholen aber nicht.

4.2 Studienvorbereitung
4.3 Was sagt die Fachliteratur?

4.3.1 Die Acidität der Alkanole

Eine Hydroxygruppe kann ein H-Atom als Proton abspalten, zumindest im Prinzip. Der pKS-Wert von Ethanol beträgt 15,9 [1].

pKS-Werte

Der pKS-Wert einer Verbindung ist der dekadische Logarithmus der Säurekonstante. Je größer (positiver) der pKS-Wert, desto schwächer ist die Säure. Starke Säuren haben niedrige positive oder sogar negative pKS-Werte. Salzsäure habe zum Beispiel einen pKS-Wert von -6, Schwefelsäure einen von -3, und der pKS-Wert von Essigsäure ist 4,76.

Schwefelsäure und Essigsäure unterscheiden sich also um fast acht pKS-Stufen. Da der pKS-Wert ein logarithmisches Maß ist, heißt das aber, dass Schwefelsäure ungefähr 108 mal so sauer ist wie Essigsäure.

Essigsäure hat einen pKS-Wert von 4,76 und ist damit rund 1011 mal so sauer wie Ethanol, also 100 Milliarden mal so sauer. Ethanol ist also eine so extrem schwache Säure, dass man von einer "Säure" gar nicht mehr reden kann.

Andererseits hat das Alkan Propan einen pKS-Wert von 51. Ethanol ist damit 1035 mal so sauer wie Propan - zumindest rein rechnerisch. Das heißt, in Anwesenheit einer recht starken Base kann Ethanol durchaus ein Proton abgeben.

Im Schulunterricht wird oft ein Versuch durchgeführt, bei dem man ein kleines Stück Natrium in eine Porzellanschale mit Ethanol gibt. Das Natriumstück löst sich dann unter Zischen und Gasentwicklung langsam auf. Auf diese Weise kann man übrigens auch übrig gebliebenes Natrium oder Kalium ganz gut entsorgen.

Reaktion von Ethanol mit Natrium

Dieses YouTube-Video zeigt sehr schön die Reaktion von Natrium mit Ethanol. Der Lehrer erläutert seinen Schüler(innen) das Vorgehen auch sehr schön.

Reaktion von Ethanol und Octanol mit Natrium

Dieses Video vergleicht die Reaktion von Natrium mit Ethanol und Octanol. Leider wird nur der Versuch gezeigt und nicht erläutert. Aber man sieht, dass beide Alkohole mit Natrium reagieren.

Bei dieser Reaktion reagiert der Alkohol tatsächlich als Brönsted-Säure, gibt also ein Proton ab. Die Reaktion verläuft übrigens analog zu der bekannten Reaktion von Natrium mit Wasser, die im Unterricht der 8. oder 9. Klasse gern vorgeführt wird.

Aufgabe

Die Verbindung 2,2,2-Trifluorethanol CF3CH2-OH hat einen pKS-Wert von 12,4. Erklären Sie!

Lösungsvorschlag

Bei der Reaktion eines Alkohols mit Natrium entsteht ein Alkoholat-Anion wie CH3CH2-O- oder in diesem Fall CF3CH2-O-. Durch die drei stark elektronegativen Fluor-Atome wird die negative Ladung am Sauerstoff-Atom des Alkoholat-Ions stark abgeschwächt, das Ion wird dadurch also stabilisiert, es kann sich dann auch leichter bilden.

Induktive Effekte haben also einen starken Einfluss auf die Acidität von Alkoholen. Alkylgruppen beispielsweise haben einen +I-Effekt, würden also die Elektronendichte an dem negativ geladenen O-Atom des Alkoholats noch verstärken und damit destabilisieren. Aus diesem Grund hat auch der tertiäre Alkohol 2-Methyl-propan-2-ol (CH3)3C-OH einen pKS-Wert von nur 18, ist also eine hundert mal schwächere Säure als Ethanol.

Solvatationseffekte wirken sich ebenfalls auf die Acidität eines Alkohols aus. Ein Alkohol mit vielen Alkylgruppen wird zunächst durch deren +I-Effekte destabilisiert. Hinzu kommt aber auch noch der Effekt, dass die Alkylgruppen die Bildung von Wasserstoffbrücken-Bindungen erschweren - sterische Hinderung. Ein Alkoholat-Ion wird durch H-Brücken grundsätzlich stabilisiert. Je mehr es an der Bildung solcher H-Brücken gehindert wird, desto weniger wird es stabilisiert und desto schwieriger ist seine Bildung.

Der Alkohol gibt das H-Atom der OH-Gruppe nur dann als Proton ab, wenn eine starke Base vorliegt, die das Proton aufnehmen kann. Und zwar muss diese Base stärker sein als die konjugierte Base des Alkohols. Oder anders ausgedrückt: Die konjugierte Säure dieser Base muss schwächer sein als der Alkohol.

Ammoniak hat einen pKS-Wert von 35, ist also eine viel schwächere Säure als Ethanol. Die konjugierte Base von Ammoniak ist das NH2--Ion. Gibt man Ethanol also mit einem Salz wie Natriumamid NaNH2 zusammen, dann findet folgende Reaktion statt:

$CH_3CH_2OH + NaNH_2 \rightleftharpoons CH_3CH_2O^{-} Na^{+} + NH_3$

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Das chemische Gleichgewicht dieser Reaktion liegt weit auf der rechten Seite. Im Vollhardt/Schore finden wir dazu eine interessante und brauchbare Faustregel: Wenn der pKS-Wert der konjugierten Säure der Base mehr als zwei Einheiten größer ist als der des Alkohols, dann liegt das Gleichgewicht der Reaktion zu mehr als 99% auf der Produktseite.

Der pKS-Wert von Ethanol ist 15,9, der pKS-Wert von Ammoniak (der konjugierten Säure der eingesetzten Base) ist 35. Damit wird diese Faustregel locker erfüllt.

Aufgabe

Diese Aufgabe wurde aus dem Vollhardt/Schore übernommen:

Welche der folgenden Basen sind stark genug, um Methanol praktisch vollständig zu deprotonieren? In Klammern sind die pKS-Werte der zugehörigen konjugierten Säuren angegeben.

(a) CH3CH2CH2CH2Li (50)

(b) CH3CO2Na (4,7)

(c) LiN[CH(CH3)2]2 (36)

(d) KH (38)

(e) CH3SNa (10)

Lösungsvorschlag

Diese Aufgabe ist recht einfach zu lösen, wenn man sich an die Faustregel erinnert. Methanol hat einen pKS-Wert von 15,54, also sollten die Basen der Säuren (a), (c) und (d) in der Lage sein, Methanol vollständig zu deprotonieren.

4.3.2 Die Basizität der Alkanole und Alkanolate

Ein bekanntes Beispiel aus der organischen Chemie ist Ihnen schon im Schulunterricht vermutlich begegnet. Versetzt man einen Alkohol mit einer Säure wie beispielsweise verd. Schwefelsäure, dann wird die OH-Gruppe protoniert:

$R-OH + H^{+} \to R-OH_2^{+} \to R^{+} + H_2O$

Die protonierte OH-Gruppe ist ein sehr gutes Nucleofug, wird daher leicht abgespalten, und ein Carbenium-Ion bleibt zurück.

Bei dieser Reaktion fungiert der Alkohol also nicht als Brönsted-Säure, sondern als Brönsted-Base.

Dass die Anionen von Alkoholen, die Alkoholat-Ionen, gute Basen sind, haben wir sicherlich schon einmal gesehen. Betrachten Sie das folgende Beispiel:

Das Alkoholat-Anion greift als Nucleophil an
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.

Im linken Bild greift ein Ethanolat-Ion ein Halogenalkan als Nucleophil an, hat aber wegen der sterischen Hinderung durch die beiden Methylgruppen wenig Aussichten auf Erfolg.

Im rechten Bild greift das Ethanolat-Ion das gleiche Halogenalkan aber als Base an und zieht ein H-Atom aus einer der beiden Methylgruppen des Halogenalkans.

Theoretisch könnte auch der Alkohol selbst als Base fungieren (oder als Nucleophil), allerdings wäre der neutrale Alkohol dann eine sehr schwache Base und ein recht schwaches Nucleophil.

4.3.3 Alkohole sind amphoter

Wie wir gerade gesehen haben, kann ein Alkohol wie beispielsweise Ethanol sowohl als Brönsted-Säure wie auch als Brönsted-Base (und auch als Lewis-Base) auftreten. Ähnlich wie Wasser ist ein Alkohol also eine amphotere Verbindung. Das heißt, in Anwesenheit starker Basen reagiert der Alkohol als Säure, in Anwesenheit starker Säuren dagegen als Base.

Quellen:

  1. Periodensystem-online.de, Tabelle mit pKS-Werten.
  2. VollhardT, Schore: Organische Chemie. 6. Auflage, Weinheim 2020.
  3. Morrison, Boyd, Bhattacharjee: Organic Chemistry. 7. Auflage, Dorling Kindersley 2011.
  4. J. Clayden, N. Greeves, S. Warren: Organische Chemie. Berlin 2013.
  5. Buddrus, Schmidt, Grundlagen der Organischen Chemie, 5. Auflage, De Gruyter-Verlag 2014.
  6. Schmuck, Basisbuch Organische Chemie, 2. Auflage, Pearson-Verlag 2018.
  7. Klein, Wiley-Schnellkurs Organische Chemie, Teil II, Weinheim 2021.

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