Helmichs Chemie-Lexikon

Atommasse

Ein zentraler Begriff der Chemie, der sich historisch stark gewandelt hat.

Dalton 1805ff

Analysiert man die Verbindung Wasser H2O, so stellt man fest, dass auf 1 g Wasserstoff genau 7,936 g Sauerstoff kommen. Ein O-Atom ist also 7,936 mal schwerer als zwei H-Atome, folglich ist ein O-Atom 15,872 mal schwerer als ein H-Atom. Dalton und andere Chemiker haben daher die Atommasse des Wasserstoffs willkürlich auf den dimensionslosen Wert 1 gesetzt, und Sauerstoff bekam dann die Atommasse 15,872, gerundet also 16.

Diese ursprüngliche Definition des Begriffs Atommasse findet sich heute in keinem modernen Schulbuch mehr wieder. Aktuelle Schulbücher präsentieren die übernächste Definition, die auf dem Element Kohlenstoff beruht.

Stas u.a. 1905ff

Die meisten Verbindungen, die man im 19. Jahrhundert entdeckt oder hergestellt hatte, waren keine Wasserstoff-Verbindungen, sondern Sauerstoff-Verbindungen. Daher kam J. Stas 1865 auf die Idee, nicht den Wasserstoff, sondern den Sauerstoff als Referenz-Element für die Atommasse zu wählen. Diesem Element gab er dann den willkürlichen Wert 16, er verwendete also den gerundeten Dalton-Wert für Sauerstoff. 1905 schloss sich die Allgemeinheit der Chemiker diesem Vorschlag an.

IUPAC 1961

Bei den Elementen unterscheidet man zwischen Rein- und Mischelementen. Reinelemente bestehen aus einer einzigen Atomsorte, es gibt hier also keine Isotope. Mischelemente dagegen setzen sich aus zwei, drei oder mehr verschiedenen Isotopen mit unterschiedlichen Atommassen zusammen. Der Sauerstoff gehört leider zu diesen Mischelementen. 1961 beschloss die IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry), das leichteste Kohlenstoff-Isotop als Bezugssystem für die Atommasse zu wählen. Das leichteste Kohlenstoff-Isotop $^{12}_{06}C$ mit 6 Protonen und 6 Neutronen erhielt dann die Atommasse 12. Wasserstoff besitzt nun nicht mehr die Atommasse 1, sondern 1,008. Die Atommasse von Sauerstoff ist dann 15,999.

Relative Atommasse / atomic weight

Unter diesem Begriff versteht man eine dimensionslose Größe, und zwar das Massenverhältnis eines Atoms zu einem gedachten Atom der Masse 1 u.

Absolute Atommasse / atomic mass

Die absolute Atommasse wird in der chemischen Praxis verwendet, wenn man beispielsweise 1 mol Schwefel abwiegen möchte. Die absolute Atommasse ist nicht dimensionslos, sondern wird in kg, g oder u (unit) angegeben.

"Krumme" Atommassen / Atomgewicht

Bereits Schüler(innen) der Stufen 8 und 9, die zum ersten Mal den Begriff der Atommasse kennenlernen, fragen, warum die meisten Elemente "krumme" Atommassen haben. Die gängige Erklärung, auch in manchen Schulbüchern, ist die Existenz mehrerer Isotope eines Elementes. Die "krumme" Atommasse ist dann eine Art arithmetisches Mittel aus den "ganzzahligen" Atommassen der verschiedenen Isotopen.

Auch in der Wikipedia kann man noch folgendes lesen:

"Die durchschnittliche Atommasse eines Mischelements wird als gewichtetes arithmetisches Mittel der Atommassen der Isotope mit den natürlichen Häufigkeiten der Isotope als Gewichten berechnet. In der Chemie wird diese durchschnittliche Atommasse als Atomgewicht des Elements bezeichnet."

Leider ist diese Annahme sachlich nicht ganz korrekt. Auch Reinelemente haben "krumme" Atommassen. Natrium ist ein solches Reinelement, es gibt also nur ein stabiles und natürliches Isotop des Elementes Natrium, nämlich $^{23}_{11}Na$. Man sollte also erwarten, dass die Atommasse dieses Isotops den Wert 23,000 hat. Das ist aber nicht der Fall. Dieses Natrium-Isotop hat die Atommasse 22,98976928 u [3].

Ein weiterer interessanter Sachverhalt ist folgender: Die mittlere relative Atommasse von Sauerstoff ist 15,879. Das leichteste Sauerstoff-Isotop ist aber $^{16}_{08}O$. Es gibt ein paar schwerere Sauerstoff-Isotope, aber kein leichteres. Wie kommt dann die "durchschnittliche" Atommasse von 15,879 zustande?

Massendefekt

Eine Erklärung für die "krumme" Atommasse von Reinelementen liefert der sogenannte Massendefekt. Die Kernteilchen im Atomkern eines Elementes (Protonen und Neutronen) ziehen sich bekanntlich ziemlich stark an. Nach Einsteins berühmter Formel $E = mc^{2}$ besteht aber eine Äquivalenz zwischen Masse und Energie. Die hohen Anziehungskräfte innerhalb des Atomkerns "verbrauchen" - einfach ausgedrückt - einen winzigen Teil der Masse der Protonen und Neutronen, und daher hat das $^{23}_{11}Na$-Isotop nicht die Atommasse 23,0000, sondern die Atommasse 22,9899 (gerundet).

Neben diesem Massendefekt im Atomkern gibt es einen zweiten Massendefekt, der aber die Atommasse so gut wie nicht mehr beeinflusst. Die Atommasse ist ein klein wenig geringer als die Summe aus der Masse des Atomkerns (um den Massendefekt bereinigt) und der Masse der umgebenden Elektronen. Auch hier spielen ja Anziehungskräfte eine Rolle, allerdings können diese vernachlässigt werden, wenn man sie mit den Anziehungskräften im Innern des Atomkerns vergleicht.

Quellen:

  1. Holleman, Wiberg, Lehrbuch der Anorganischen Chemie, 102. Auflage 2007 Berlin.
  2. Wikipedia, Artikel "Atommasse"
  3. Wikipedia, Artikel "Natrium"
  4. Wikipedia, Artikel "Massendefekt"