Helmichs Chemie-Lexikon

Abgangsgruppe

Eine Abgangsgruppe, auch Nucleofug genannt (von lat. fuga = Flucht) ist eine Gruppe, die sich aus einem Molekül löst und entfernt und dabei ein bindendes Elektronenpaar mit sich nimmt.[5]

Bei der nucleophilen Substitution spielt die Stärke des Nucleophils - die Nucleophilie - eine entscheidende Rolle, vor allem bei der SN2-Reaktion, bei der das Nucleophil die Verbindung R-X direkt angreift. Aber auch ein starkes Nucleophil kann die Abgangsgruppe X nur schlecht aus R-X verdrängen, wenn die Bindung zwischen R und X sehr stark ist. Das heißt, dass auch die Abgangsgruppe X eine sehr wichtige Rolle bei der nucleophilen Substitution spielt. Allerdings sind die Verhältnisse hier recht komplex, so dass es kaum möglich ist, einfache Regeln aufzustellen.

Rolle der Elektronegativität

Man sollte erwarten, dass eine stark elektronegative Abgangsgruppe, beispielsweise das Fluo/Fluorid-Ion, auch recht leicht von R-X abgespalten wird, während das weniger elektronegative Brom/Bromid-Ion nicht so leicht abgespalten wird. Bei bestimmten Versuchsbedingung kann man das auch tatsächlich beobachten, doch bei anderen Versuchsbedingungen ist es genau umgekehrt.

Rolle der Bindungsenergie

Die Bindungsenergie zwischen dem Rest und der Abgangsgruppe X sollte einen entscheidenden Einfluss auf die Leichtigkeit der Abspaltung von X haben. Die C-F-Bindung ist sehr energiereich (489 kJ/mol), während die C-Br-Bindung deutlich energieärmer ist (285 kJ/mol) [1], und daher sollte Brom/Bromid auch wesentlich leichter abgespalten als Fluor/Fluorid. Auch hier ist es wieder so, dass viele Versuche diese Hypothese stützen, während das bei anderen Versuchen nicht der Fall ist. Es kommt eben immer auf die genauen Versuchsbedingungen an.

Rolle von "Hilfsreagenzien"

Die C-O-Bindung ist mit einer Bindungsenergie von 358 kJ/mol recht stark, daher ist die OH-Gruppe eine schlechte Abgangsgruppe. Allerdings kann man der OH-Gruppe den "Abgang" erleichtern, wenn man ihr ein Proton zur Verfügung stellt. Das Proton lagert sich nämlich an die OH-Gruppe an, und es bildet sich ein positiv geladenes Wasser-Molekül, das dann eine sehr gute Abgangsgruppe ist. Diesen Effekt macht man sich bei der säurekatalysierten Bromierung von Alkoholen zu Nutze. Man versetzt den Alkohol mit Kaliumbromid und konz. Schwefelsäure, dann spaltet sich zuerst die protonierte OH-Gruppe ab, und das Bromid-Ion lagert sich an das entstandene Carbenium-Ion an. Auch Metall-Kationen wie Ag+ eignen sich gut als "Hilfsreagenz". Die Silber-Ionen bilden mit den abgespaltenen Halogenid-Ionen schwerlösliche Silberhalogenide [2]. Dadurch wird das Halogenid dem Gleichgewicht entzogen, und nach dem Prinzip des kleinsten Zwangs wird dadurch die Abspaltung begünstigt.

Begriff Nucleofug

Nicht nur in der Wikipedia wird eine Abgangsgruppe, welche das bindende Elektronenpaar mitnimmt, als Nucleofug bezeichnet [3] [4].

Quellen:

  1. Wikipedia, Bindungsenergie, abgerufen am 24.03.2017
  2. Carey, Sundberg: Organische Chemie - einweiterführendes Lehrbuch, Weinheim 1995.
  3. Wikipedia, Abgangsgruppe, abgerufen am 24.03.2017
  4. Lexikon der Chemie, Fragmentierung, abgerufen am 07.10.2018
  5. RÖMPP Chemie-Lexikon, 9. Auflage, Band 4 (1991), S. 3060.