Helmichs Chemie-Lexikon

Regioselektivität

Der Begriff Regioselektivität bezeichnet die Tatsache, dass bei vielen chemischen Reaktionen bestimmte Regionen (Bereiche, Teile) eines organischen Moleküls bevorzugt angegriffen werden.

Bei der radikalischen Substitution (zum Beispiel durch Brom) werden bevorzugt C-H-Bindungen tertiärer C-Atome gespalten, weil die Bindungsdissoziationsenergie hier am geringsten ist und die sich bildenden Radikale infolgedessen am stabilsten sind. An zweiter Stelle kommen die C-H-Bindungen sekundärer C-Atome, und ganz zuletzt die C-H-Bindungen primärer C-Atome.

Auch bei der nucleophilen Substitution kann man eine ähnliche Regioselektivität beobachten, zumindest beim SN1-Mechanismus. Von tertiären C-Atomen wird die Abgangsgruppe besonders leicht abgespalten, weil das sich bildende Carbenium-Ion hier von drei Alkylgruppen stabilisiert wird (+I-Effekte).

Ähnlich verhält es sich bei der elektrophilen Addition. Wenn sich im ersten Schritt ein Proton an die C=C-Doppelbindung anlagert, erfolgt dies stets so, dass das stabilste Carbenium-Ion entsteht (Markovnikow-Regel).

Vor allem bei der elektrophilen Zweit-Substitution an Aromaten spielt die Regioselektivität eine große Rolle. Hier hat der Erstsubstituent einen stark dirigierenden Effekt. Sogenannte aktivierende Erstsubstituenten dirigieren den elektrophilen Angriff des Zweitsubstituenten in ortho- und para-Richtung, und deaktivierende Erstsubstituenten dirigieren folglich in meta-Richtung.

Ein anderes Beispiel sind die E2-Eliminierungen. Als Beispiel nehmen wir ein 1-Brom-2-Methyl-propan, das von einem Ethanolat-Anion angegriffen wird. Dieses Anion kann entweder als Nucleophil auftreten und in einer konzertierten Reaktion einen Rückseitenangriff auf das Brom-Atom ausführen, das so aus dem Molekül gedrängt wird, oder es kann als Base auftreten und ein H-Atom des C2-Atoms abspalten, wobei gleichzeitig das Brom-Atom als Bromid-Anion abgegeben wird.