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Bipolar- und Ganglienzellen

ON- und OFF-Bipolarzellen

Die Photorezeptoren sind über ihre synaptischen Endknöpfchen mit den Bipolarzellen verbunden, allerdings liegt hier keine 1:1-Beziehung vor, sondern eine n:m-Beziehung. Jeder Photorezeptor kann also mit mehreren Bipolarzellen verbunden sein, und jede Bipolarzelle kann wiederum mit mehreren Photorezeptoren verknüpft sein.

Wenn die Photorezeptoren keine Neurotransmitter mehr ausschütten (also bei Belichtung!), dann werden einige Bipolarzellen hyperpolarisiert, andere Bipolarzellen dagegen depolarisiert. Die Bipolarzellen, die bei Belichtung hyperpolarisiert werden, bezeichnet man als OFF-Bipolarzellen. OFF-Bipolarzellen werden durch Licht also ausgeschaltet. Sie sind nicht in der Lage, die nachfolgenden Ganglienzellen zu erregen.

Entsprechend werden die Bipolarzellen, die bei Belichtung depolarisiert werden, als ON-Bipolarzellen bezeichnet. Sie werden bei Belichtung eingeschaltet. ON-Bipolarzellen können die Ganglienzellen erregen.

Damit ist die Einteilung der Photorezeptoren in PLUS- und MINUS-Rezeptoren auf der vorhergehenden Seite eigentlich hinfällig. Es gibt keine PLUS- und MINUS-Rezeptoren in der Netzhaut, sondern dieser Eindruck kommt durch das Vorhandensein von ON- und OFF-Bipolarzellen zustande, mit denen die Photorezeptoren verbunden sind. Und streng genommen ist auch diese Aussage noch etwas zu stark vereinfacht, in Wirklichkeit sind die Zusammenhänge wesentlich komplexer.

Postsynaptische Vorgänge in OFF-Bipolarzellen

Bei den OFF-Bipolarzellen verläuft die Informationsverarbeitung ganz einfach, ähnlich wie bei der motorischen Endplatte über ionotrope Neurotransmitter-Rezeptoren [2,S. 338].

Abläufe in einer OFF-Bipolarzelle
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Im Dunklen:

Im Dunklen misst man an den Photorezeptoren der Netzhaut einen Dunkelstrom. Natrium-Ionen strömen in die Zelle, und das synaptische Endknöpfchen schüttet den Neurotransmitter Glutamat aus.

Das Glutamat setzt sich dann an ligandengesteuerte Natriumkanäle des AMPA-Kainat Typs [1]. Die AMPA-Rezeptoren und die Kainat-Rezeptoren sind Na+/K+-Kanäle, die eventuell auch Ca2+-Ionen durchlassen. Diese Kanäle werden geöffnet, und vor allem Natrium-Ionen strömen in die Bipolarzelle ein und depolarisieren deren Membran (gekennzeichnet durch die positiven Ladungen auf der Membraninnenseite).

Auf welchen Wert genau die Bipolarzellen depolarisiert werden, müsste ich erst noch recherchieren...

Im Hellen:

Wird der vorgeschaltete Photorezeptor belichtet, wird der second messenger cGMP abgebaut, die Natrium-Kanäle bleiben geschlossen, und es wird kein Neurotransmitter mehr ausgeschüttet.

Die durch Glutamat gesteuerten Ionenkanäle der OFF-Bipolarzelle bleiben geschlossen. Die Natrium-Kalium-Pumpen sorgen dann für eine schnelle Re- oder sogar Hyperpolarisierung der Membran.

Postsynaptische Vorgänge in ON-Bipolarzellen

Hier ist die Sache etwas komplizierter. Die Synapsen zwischen Photorezeptoren und ON-Bipolarzellen gehören zu den metabotropen Synapsen [1]. Genauer gesagt, besitzen ON-Bipolarzellen den metabotropen Glutamatrezeptor 6 (GMR6) [3].

Ich versuche einmal, einen möglichen Mechanismus graphisch darzustellen, der erklärt, wie eine Depolarisierung der Zelle zustande kommt, wenn kein Neurotransmitter anwesend ist. Eine analoge Abbildung habe ich in der mir zur Verfügung stehenden Fachliteratur bisher noch nicht gefunden.

Vorgänge in einer ON-Bipolarzelle (Modellvorstellung)
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Im Dunklen:

Der im Dunklen von den Photorezeptoren ausgeschüttete Neurotransmitter Glutamat setzt sich an den G-Protein-gekoppelten Rezeptor, aktiviert diesen und das G-Protein, welches Adenylatcyclasen hemmt, so dass die Produktion von cAMP gebremst wird. Außerdem sorgt das G-Proteine für eine Schließung des Calciumkanals TRPM1 [3].

"In the synapse between photoreceptor cells and ON-bipolar cells, the G protein-coupled glutamatereceptor mediates synaptic transmission in vertebrates. Upon interaction with L-glutamate, this receptor activates a G protein and in turn stimulates cyclic GMP phosphodiesterase, thus resulting in a decrease in intracellular concentrations of cyclic GMP. The decrease in cyclic GMP leads to the closure of the cyclicGMP-gated,cation-specific ion channel and hyperpolarizes ON-bipolar cells " [4].

Nach dieser Quelle, die in der engl. Wikipedia aufgeführt wurde (Artikel "Metabotropic glutamate receptor 6"), wird nicht eineAdenylatcyclase gehemmt, sondern eine Phosphodiesterase aktiviert, welche cGMP abbaut, ähnlich wie in den Photorezeptoren. Der Effekt ist aber der gleiche.

Im Hellen:

Die Neurotransmitter-Ausschüttung bleibt bei Belichtung des Photorezeptors aus, daher kann keine Hemmung der cAMP-Produktion bzw. keine Aktivierung des cGMP-Abbaus stattfinden. Die cAMP bzw. cGMP-Moleküle sitzen an den Kationenkanälen, und es kommt - ähnlich wie im Photorezeptor - zum Einstrom positiver Ionen und damit zu einer Depolarisierung der Zelle. Auch die Calciumkanäle sind jetzt geöffnet, so dass weitere Kationen in die Zelle strömen und die Depolarisierung verstärken können.

Die Rolle von Horizontalzellen

Welche Rolle spielen nun die Horiziontalzellen in der Netzhaut der Säugetiere? Um dies zu verstehen, müssen wir etwas weiter ausholen. Erinnern Sie sich noch an Ihren Mathe-Unterricht in der Sekundarstufe I ? Multipliziert man eine negative Zahl mit einer negativen Zahl, erhält man eine positive Zahl. Bei Regelkreisen in der Ökologie oder Physiologie ist es ähnlich: Ein negativer Effekt ergibt zusammen mit einem anderen negativen Effekt eine positive Wirkung, so nach dem Motto: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund".

Stellen wir uns jetzt einfach mal drei hintereinander geschaltete Nervenzellen vor:

Zwei hemmende Nervenzellen in Reihe aktivieren die dritte Nervenzelle
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Die Nervenzelle 1 kann Nervenzelle 2 hemmen, und Nervenzelle 2 kann Nervenzelle 3 hemmen. Eine Nervenzelle kann eine folgende Nervenzelle natürlich nur dann hemmen (oder erregen), wenn sie selbst aktiviert bzw. erregt ist, also Neurotransmitter ausschüttet.

Schauen wir uns nun einmal an, was passiert, wenn die Nervenzelle 1 erregt wird:

Fallbeispiel 1: Nervenzelle ist erregt
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Da Nervenzelle 1 erregt ist, schüttet sie Neurotransmitter aus, welche die Nervenzelle 2 hemmen. Daher ist Nervenzelle 2 inaktiv und schüttet keine Neurotransmitter mehr aus. Die Nervenzelle 3 kann also nicht gehemmt werden, somit ist sie aktiv.

Nun zum umgekehrten Fall: Die Nervenzelle 1 ist inaktiv, weil sie selbst gehemmt wurde oder weil sie ein Photorezeptor ist und mit Licht bestrahlt wird:

Fallbeispiel 2: Nervenzelle ist gehemmt
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Da Nervenzelle 1 nun keine hemmenden Neurotransmitter mehr ausschüttet, ist Nervenzelle 2 aktiv und kann ihrerseits Neurotransmitter ausschütten, so dass Nervenzelle 3 gehemmt wird.

Sie werden sich jetzt sicherlich fragen, was das Ganze mit ON- und OFF-Bipolarzellen zu tun hat und mit Horizontalzellen. Eine völlig berechtigte Frage. Also schauen wir uns das nächste Bild an.

Rolle der Horizontalzellen, stark vereinfacht.
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Auf dem Bild sehen wir links ein Schaltschema aus drei Photorezeptoren (P1..3), zwei Horizontalzellen (HZ) und einer Bipolarzelle (Bi).

Fallbeispiel links

Der mittlere Photorezeptor wird belichtet, er schüttet daher keine Neurotransmitter aus. Die beiden seitlichen Photorezeptoren werden nicht belichtet, darum schütten sie erregende Neurotransmitter aus (grüne Kreise), die zwei Horizontalzellen (HZ) aktivieren.

Die beiden Horizontalzellen sind nun mit der Bipolarzelle über hemmende Synapsen verbunden. Da die Horizontalzellen aktiv sind, schütten sie hemmende Neurotransmitter aus (rote Kreise). Diese hemmenden Neurotransmitter hemmen nun die Bipolarzelle, welche daraufhin hyperpolarisiert wird oder zumindest daran gehindert wird, zu depolarisieren.

Fallbeispiel rechts

Nun sind die beiden Photorezeptoren 1 und 3 belichtet, nicht aber Photorezeptor 2 in der Mitte. Die belichteten Photorezeptoren schütten keine Neurotransmitter mehr aus, daher werden auch die beiden Horizontalzellen nicht mehr aktiviert und können ihrerseits die Bipolarzelle nicht mehr hemmen. Der mittlere Photorezeptor ist nicht belichtet, und daher schüttet er Neurotransmitter aus, die die Bipolarzelle erregen. Insgesamt überwiegen jetzt die erregenden Neurotransmitter, und die Bipolarzelle kann ebenfalls Neurotransmitter ausschütten.

Aufgabe

Begründen Sie, ob es sich bei der gezeichneten Bipolarzelle um eine ON- oder eine OFF-Zelle handelt.

Lösung:

Bei Belichtung des mittleren Photorezeptors schaltet sich die Bipolarzelle ab. Die Bipolarzellen, die sich bei Belichtung abschalten (also hyperpolarisiert werden), bezeichnet man als OFF-Bipolarzellen.

Horizontalzellen und laterale Inhibition

Die Horizontalzellen sind auch für die laterale Inhibition verantwortlich, die auf einer eigenen Seite erläutert wird. Das Thema "laterale Inhibition" ist übrigens nicht unbedingt abiturrelevant, wird aber in jedem anständigen Oberstufen-Lehrbuch ausführlich behandelt, da es sich um den bekannten Mechanismus der Kontrastverstärkung handelt.

Die Wirklichkeit ist etwas komplexer

In der obigen Abbildung ist genau ein Photorezeptor mit genau einer Horizontalzelle verbunden. In der "echten" Netzhaut dagegen ist eine Horizontalzelle mit mehreren bis vielen Photorezeptoren verbunden, und zwar in beiden Richtungen. Das heißt, dass einerseits die Dendriten der Horizontalzelle Neurotransmitter von mehreren Photorezeptoren aufnehmen, dass aber andererseits die Axon-Kollateralen der Horizontalzelle hemmende Neurotransmitter ausschütten, die die Aktivität anderer Photorezeptoren herabsetzen (laterale Inhibition bzw. seitliche Hemmung).

Verschaltung eines rezeptiven Bipolar-Feldes
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Auf diesem Bild, das immer noch stark vereinfacht ist, sehen wir drei Typen von Photorezeptoren. Die blau gezeichneten Zellen bilden das Zentrum des rezeptiven Feldes. Diese Sinneszellen sind direkt mit der Bipolarzelle verbunden, und zwar über erregende Synapsen.

Die gelb dargestellten Zellen bilden die Peripherie oder das Umfeld des rezeptiven Feldes. Sie gehören noch zum rezeptiven Feld, sind aber nicht direkt mit der Bipolarzelle im Zentrum verbunden, sondern indirekt über Horizontalzellen. Wie bereits oben ausgeführt, sind die Synapsen zwischen Photorezeptoren und Horizontalzellen erregend, die Synapsen zwischen Horizontalzellen und Bipolarzellen dagegen hemmend.

Die grau dargestellten Zellen gehören nicht mehr zu diesem rezeptiven Feld. Sie können aber ohne Weiteres einem anderen, hier nicht dargestellten rezeptiven Feld angehören. Das gilt übrigens auch für die gelb und blau dargestellten Photorezeptoren, auch diese können gleichzeitig anderen rezeptiven Feldern angehören.

Quellen:

  1. Kandel, Schwartz, Jessel, Siegelbaum, Hudspeth, Principles of Neural Science, Fifth Edition. McGraw-Hill Education 2013. Kindle-Edition.
  2. Bear, Connors, Paradiso: Neurowissenschaften, Springer-Verlag 2018
  3. DocCheck Flexikon, Artikel "Bipolarzelle"
  4. Masu M et al. "Specific deficit of the ON response in visual transmission by targeted disruption of the mGluR6 gene". Cell. 80 (5): 757–65. 1995.