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Biologische Wertigkeit von Proteinen

Essentielle Aminosäuren

Wie auf der vorherigen Seite bereits aufgeführt, können die Zellen unseres Körpers nur einen Teil der benötigten Aminosäuren selbst herstellen. Viele andere Aminosäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden, diese werden dann als essentielle Aminosäuren bezeichnet. Hier eine Liste aller essentiellen Aminosäuren:

  • Arginin*
  • Histidin*
  • Isoleucin
  • Leucin
  • Lysin
  • Methionin
  • Phenylalanin
  • Threonin
  • Tryptophan

Arginin und Histidin werden als semi-essentiell bezeichnet, sie müssen nur von Kindern beim Heranwachsen oder bei der Genesung von bestimmten Krankheiten mit der Nahrung aufgenommen werden.

Eine kleine Analyse

Stellen Sie sich einmal vor, das von verschiedenen Organen eines Menschen Proben entnommen werden, und diese Proben werden dann chemisch analysiert. Beim Thema "Biologische Wertigkeit" interessiert nun nicht der Cholesterinspiegel oder der Eisengehalt der Proben, sondern man will wissen, welche Aminosäuren wie häufig in den körpereigenen Proteinen vertreten sind. Die nicht-essentiellen Aminosäuren interessieren dabei weniger, denn diese können ja bei Bedarf vom Körper selbst hergestellt werden. Nein, man möchte wissen, welche Rolle die essentiellen Aminosäuren spielen und wie häufig diese in den körpereigenen Proteinen vorkommen.

Bei einer solchen Analyse ist man nun zu folgenden Ergebnissen gekommen (die Zahlen stammen aus dem Lehrbuch von C. Schlieper, "Grundfragen der Ernährung").

Val Leu Ile Thr Met Lys Phe Trp
5,06 7,46 4,59 4,91 2,27 6,08 4,71 1,29

Tabelle 1: Durchschnittliche Zusammensetzung menschlicher Proteine

Unsere körpereigenen Proteine bestehen zu 5,06% aus Valin, zu 7,46% aus Leucin und so weiter. Oder anders ausgedrückt: 100 Gramm menschliches Protein enthält 5,06 Gramm der essentiellen Aminosäure Valin, 7,46 Gramm der Aminosäure Leucin und so fort.

Natürlich sind das nur Durchschnittszahlen. Jeder Mensch ist anders, und die Zusammensetzung der Körperproteine hängt natürlich auch von dem Organ ab, in dem sie sich befinden. Leberproteine haben eine andere Zusammensetzung als zum Beispiel Gehirnproteine.

Eine kleine Denksport-Aufgabe

Wir wollen jetzt einmal ausrechnen, wie viel Gramm Valin ein erwachsener Mann, der 80 kg wiegt, mit der Nahrung täglich zu sich nehmen muss, damit die im Laufe des Tages benötigten körpereigenen Peptide und Proteine an den Ribosomen der Zellen hergestellt werden können.

Lösung:

Die Empfehlung der DGE lautet, dass man täglich 0,8 g Protein pro kg Körpergewicht zu sich nehmen sollte. Ein 80 kg schwerer Mann sollte also 80 * 0,8 g = 64 g Protein mit der Nahrung zu sich nehmen. 5,06% des Proteins sollte aus der Aminosäure Valin bestehen. Das sind dann 64 * 5,06/100 = 3,2 g.

Eiweißbedarf

Weitere Einzelheiten zum Eiweißbedarf finden Sie auf dieser Lexikon-Seite.

Analyse des Milchproteins

Bei meinem Vorgehen auf dieser Homepage orientiere ich mich jetzt mal sehr stark an dem Lehrbuch von Frau Schlieper, Grundfragen der Ernährung, für mich das zur Zeit beste Lehrbuch für die gymnasiale Oberstufe, wenn es auch meiner Meinung nach zu viel Chemie enthält und vielleicht auch etwas zu teuer ist.

Val Leu Ile Thr Met Lys Phe Trp
6,87 10,5 6,27 4,48 2,51 7,76 5,07 1,49

Tabelle 2: Zusammensetzung von Milchprotein

100 Gramm Milchprotein (Casein + Molkenproteine etc.) enthalten also 6,87 Gramm der essentiellen Aminosäuren Valin. Körpereigene Proteine des Menschen benötigen nur 5,06 Gramm Valin pro 100 g (siehe Tabelle 1).

100 Gramm Milchprotein enthält also mehr Valin, als der Mensch zum Aufbau von 100 g Körperprotein benötigt, der Valin-Bedarf ist zu 6,87/5,06 = 1,36 bzw. 136 Prozent gedeckt.

Auf den ersten Blick könnte man nun denken: "Perfekt! Milch enthält also ein sehr hochwertiges Protein mit mehr Valin, als der Mensch benötigt."

Das Lego-Modell

Bevor wir hier mit der Analyse des Milchproteins weitermachen, versetzen wir uns mal ein paar Jahre zurück in unsere Kindheit und spielen mit Legos. Unsere Aufgabe ist es, vier kleine Ampeln zu bauen. Für jede Ampel benötigen wir einen roten, einen gelben und einen grünen Baustein.

Aufgabe

Bauen Sie vier kleine Ampeln aus Lego-Bausteinen.

Sie erhalten folgendes Material: 3 rote, 4 grüne und 5 gelbe Bausteine.

Bereits beim oberflächlichen Betrachten dieser Aufgabe stellen wir fest, dass die Aufgabe nicht zu lösen ist. Da nur drei rote Bausteine vorhanden sind, kann man unmöglich vier Ampeln bauen.

Biologische Wertigkeit, mit Lego-Steinen veranschaulicht

Biologische Wertigkeit, mit Lego-Steinen veranschaulicht

Aufgabe

Erläutern Sie, was dieses Lego-Beispiel mit der biologischen Wertigkeit von Proteinen zu tun hat.

Die Ampeln, die mit den Steinen gebaut werden sollen, stehen für die körpereigenen Proteine, die hergestellt werden müssen. Die Steine selbst stehen für die essentiellen Aminosäuren in diesen körpereigenen Proteinen. Die gelben Steine könnten beispielsweise für die Aminosäure Valin stehen, die grünen Steine für die Aminosäure Leucin und die roten Steine für die Aminosäure Methionin.

In der Tabelle 1 sind insgesamt acht essentielle Aminosäuren vertreten. Also müssten wir unser Lego-Beispiel eigentlich auf acht verschiedene Farben erweitern, wenn wir alle essentiellen Aminosäuren repräsentieren wollten. Aber das Lego-Beispiel ist ja nur eine Modellvorstellung, und solche Modelle vereinfachen die Wirklichkeit mehr oder weniger stark.

Die vier grünen, fünf gelben und drei roten Bausteine stehen für die Nahrung, die wir aufnehmen. In der aufgenommenen Nahrung sind jetzt nur drei rote Bausteine enthalten, also können wir aus dieser Nahrung nur drei Ampeln bauen und nicht die benötigten vier.

Von den gelben Bausteinen ist in der Nahrung ein deutlicher Überschuss enthalten. Vier würden für vier Ampeln benötigt, vorhanden sind aber fünf. Das entspricht ungefähr der Aminosäure Valin im Milchprotein. Das Milchprotein enthält auch anteilsmäßig mehr Valin, als für die Produktion von körpereigenem Protein benötigt wird. Wir hatten eine Bedarfsdeckung von 136% ausgerechnet.

Vielleicht gibt es in dem Milchprotein ja auch so etwas wie die roten Lego-Steine, also eine essentielle Aminosäure, bei der die Bedarfsdeckung kleiner ist als 100%.

Bedarfsdeckung der Aminosäuren im Milchprotein

Wir müssen für jede Aminosäure des Milchproteins die prozentuale Bedarfsdeckung ausrechnen. Dazu machen wir uns am besten eine neue Tabelle:

Val Leu Ile Thr Met Lys Phe Trp
5,06 7,46 4,59 4,91 2,27 6,08 4,71 1,29
6,87 10,5 6,27 4,48 2,51 7,76 5,07 1,49
1,36 1,41 1,37 0,91        

Tabelle 3: Bedarfsdeckung des Milchproteins

In der ersten Zeile finden wir den menschlichen Bedarf an essentiellen Aminosäuren, in der zweiten Zeile die Zusammensetzung des Milchproteins. In der letzten Zeile schließlich haben wir die prozentuale Bedarfsdeckung. Für die ersten vier Aminosäuren ist die Bedarfsdeckung berechnet, für die letzten vier nicht mehr. Aber warum nicht? Wieso fehlen die letzten vier Werte?

Aufgabe

Finden Sie heraus, warum die letzten vier Werte nicht mehr berechnet wurden!

Bereits auf den ersten Blick sieht man, dass die Werte in der zweiten Zahlenreihe (Milchprotein) größer sind als die Werte in der ersten Reihe (Bedarf). Also kann man wohl sagen, dass der Bedarf an diesen vier Aminosäuren durch das Milchprotein voll gedeckt ist, die Werte sind alle größer als 1,0 bzw. 100%. Eine Berechnung ist daher nicht notwendig. Nur die Aminosäuren, die den menschlichen Bedarf nicht decken können, sind von Interesse für die Berechnung der biologischen Wertigkeit eines Proteins.

Und da fällt gleich das Threonin aus der Reihe, denn es deckt den menschlichen Bedarf nur zu 91%. Das Thr ist also der "rote Baustein", wenn man jetzt wieder das Lego-Beispiel heranzieht. Genau wie der rote Baustein dafür verantwortlich war, dass nur drei statt der benötigten vier Ampeln gebaut werden konnten, ist das Threonin dafür verantwortlich, dass aus 100 Gramm Milchprotein nur 91 Gramm körpereigenes Protein hergestellt werden kann.

Die Zahl, die angibt, wie viel körpereigenes Protein aus 100 g Nahrungsprotein hergestellt werden können, hat nun eine besondere Bedeutung in der Ernährungslehre. Diese Zahl definiert nämlich die Biologische Wertigkeit:

Biologische Wertigkeit = die Menge an körpereigenem Protein, die aus 100 g Nahrungsprotein hergestellt werden kann.

Analyse weiterer Proteine

Wir wollen jetzt ein paar weitere Nahrungsmittelproteine auf ihre biologische Wertigkeit hin untersuchen. Fangen wir mal mit dem Weißbrotprotein an, also dem Protein, das im Weißmehl hauptsächlich enthalten ist.

Weißbrotprotein

Dazu machen wir uns gleich wieder eine Tabelle mit drei Reihen: Zunächst dem menschlichen Bedarf an essentiellen Aminosäuren, dann der Zusammensetzung des Nahrungsproteins, und schließlich der prozentualen Deckung dieses Bedarfs - allerdings nur für die Aminosäuren, die den Bedarf nicht decken:

Val Leu Ile Thr Met Lys Phe Trp
5,06 7,46 4,59 4,91 2,27 6,08 4,71 1,29
5,12 7,8 5,0 3,29 1,71 2,68 5,49 1,07
      0,67 0,75 0,44   0,83

Tabelle 4: Bedarfsdeckung des Weißbrotproteins

Vier Aminosäuren decken den menschlichen Bedarf nicht zu 100%, nämlich Threonin, Methionin, Lysin und Tryptophan. Am schlimmsten ist dieser Mangel beim Lysin; der menschliche Bedarf an Lysin wird von dem Weißbrotprotein nur zu 44% gedeckt. Damit ist Lysin die limitierende Aminosäure des Weißbrotproteins, und das hat zur Folge, dass der menschliche Körper aus 100 g Weißbrot nur 44 g körpereigenes Protein herstellen kann. Die biologische Wertigkeit des Weißbrotproteins beträgt also 44%.

Limitierende Aminosäure

Diejenige essentielle Aminosäure eines Nahrungsproteins, deren Bedarfsdeckung am weitesten unter 100% liegt.

Hühnereiprotein
Val Leu Ile Thr Met Lys Phe Trp
5,06 7,46 4,59 4,91 2,27 6,08 4,71 1,29
8,14 8,45 7,13 3,95 5,27 5,27 5,81 1,40
      0,80   0,87    

Tabelle 5: Bedarfsdeckung des Hühnereiproteins

In der Fachliteratur wird das Hühnereiprotein als Referenz behandelt und auf den willkürlichen Wert 100 gesetzt. Als man den Begriff der Biologischen Wertigkeit "erfand", war das Hühnereiweiß von den bisher analysierten Proteinen das Eiweiß mit der höchsten BW, daher hat man die BW von Hühnereiweiß willkürlich auf den Wert 100 gesetzt. Dieser Wert ist aber nur ein relativer Wert. Die tatsächliche, mathematisch korrekte BW von Hühnereiweiß beträgt 80%.

Speisequark hat eine BW von 98%. Wenn man die 80% des Hühnereiweißes auf 100% setzt, dann müsste das Speisequarkeiweiß bezogen eine BW von 122,5 haben - im Vergleich zum Hühnereiweiß.

Erbsenprotein
Val Leu Ile Thr Met Lys Phe Trp
5,06 7,46 4,59 4,91 2,27 6,08 4,71 1,29
4,43 5,80 4,73 3,97 0,84 14,12 3,66 0,84
        0,37      

Tabelle 6: Bedarfsdeckung des Erbsenproteins

Wegen des geringen Gehalts an Methionin hat das Erbsenprotein (grüne Erbsen, nicht geschält) nur eine BW von 37%.

Das ist nicht viel, und das, wo der Autor dieser Zeilen doch Erbsen so gerne mag, vor allem als Beilage zu seinem Schnitzel. Und damit wären wir auch gleich beim nächsten Lebensmittel.

Schnitzelprotein
Val Leu Ile Thr Met Lys Phe Trp
5,06 7,46 4,59 4,91 2,27 6,08 4,71 1,29
5,19 7,36 5,14 4,66 2,50 8,22 3,94 1,30
  0,99   0,95     0,84  

Tabelle 7: Bedarfsdeckung des Schnitzelproteins

Wegen des geringen Gehalts an Phenylalanin hat das Schnitzelprotein eine recht hohe BW von 84%, das ist deutlich mehr als Erbsenprotein und sogar mehr als Hühnereiprotein (105% bezogen auf die 100% des Hühnereis).

Zu dem Schnitzel mit Erbsen werden auch gern Kartoffeln als Beilage gereicht, daher wollen wir mal sehen, was das Kartoffelprotein so alles enthält.

Kartoffelprotein
Val Leu Ile Thr Met Lys Phe Trp
5,06 7,46 4,59 4,91 2,27 6,08 4,71 1,29
5,37 5,85 4,20 3,85 1,51 5,85 4,39 1,51
  0,78   0,78 0,67      

Tabelle 8: Bedarfsdeckung des Kartoffelproteins

Beim Kartoffelprotein ist Methionin die limitierende Aminosäure, daher beträgt die BW von Kartoffelprotein nur 67%.