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Selektion und Anpassung

Lernziele

Wenn Sie diese Seite durchgearbeitet haben, sollten Sie

  • wissen, was man allgemein unter Selektion bzw. natürlicher Auslese versteht,
  • die Selektion als eine der Haupttriebkräfte für die Evolution beschreiben können,
  • den Zusammenhang zwischen Selektion und Fortpflanzungserfolg erläutern können.
  • wissen, was man unter Gendrift, Flaschenhalseffekt und Gründereffekt versteht und
  • erkennen, dass Gendrift keine Selektion ist.
Abitur NRW

In folgenden Abituraufgaben aus den Jahren 2021 und 2022 spielt der Begriff der Selektion eine wesentliche Rolle:

  • 2021 GK HT 2: Pheromoneinsatz zur Regulierung von Lobesia botrana im Weinanbau
  • 2021 LK HT 1: Duftwahrnehmung bei Drosophila melanogaster
  • 2021 LK HT 2: Das Schweigen der Grillen

Überproduktion von Nachkommen

Bereits lange vor DARWIN hatten alle Tier- und Pflanzenzüchter ein wichtiges Grundprinzip der Natur erkannt: Tiere und Pflanzen erzeugen viel mehr Nachkommen, als für das Überleben der Art notwendig wäre. Es findet eine Überproduktion von Nachkommen statt. Besonders ausgeprägt ist die Überproduktion von Nachkommen bei den sogenannten r-Strategen.

Eine weibliche Stubenfliege legt zum Beispiel bis zu 18 mal im Jahr jeweils 500 bis 2000 Eier. Unter günstigen Bedingungen schlüpfen also 36.000 neue Fliegen im Jahr.

Aber auch bei den K-Strategen werden mehr Nachkommen erzeugt, als zum Fortbestand der Population notwendig ist.

siehe folgenden Text

Dorkasgazellen
Quelle: Wikipedia, Artikel "Gazelle", Autor: Altaipanther, Lizenz:  public domain.

Gazellen beispielsweise bekommen zweimal im Jahr ein Junges, manchmal auch zwei oder sogar drei Junge pro Wurf. Gehen wir mal von einer durchschnittlichen Zahl von 3 Jungtieren pro Jahr aus. In freier Wildbahn werden Gazellen acht bis neun Jahre alt. Das heißt, eine weibliche Gazelle kann in ihrem Leben ca. 20 Jungtiere hervorbringen. Für die Erhaltung der Populationsgröße wären aber eigentlich nur zwei Jungtiere pro Weibchen notwendig.

Logistisches Populationswachstum

In der freien Natur lebende Populationen haben eine mehr oder weniger konstante Populationsgröße, da die zur Verfügung stehenden Ressourcen (Nahrung, Wasser, Raum etc.) nur für eine bestimmte Anzahl von Individuen ausreichen. Typisch für ein Populationswachstum in der freien Natur ist also eine S-förmige logistische Kurve.

Von den 36.000 theoretisch möglichen Fliegen-Nachkommen unserer oben erwähnten Stubenfliege oder von den bis zu 20 Jungtieren der Gazellen erreichen im Schnitt nur ein oder zwei das fortpflanzungsfähige Alter. Dies reicht aus, um die Populationsgröße konstant zu halten. Die anderen Tier überleben nicht.

Die Individuen einer Population unterscheiden sich

Auch dies ist eine Tatsache, die bereits lange vor DARWIN den Tier- und Pflanzenzüchtern bekannt war. Wenn eine Kaninchenmutter 8 Junge bekommt, so unterscheiden sich die Jungtiere voneinander. Auch bei den Nachkommen von Pflanzen kann der erfahrene Züchter durchaus individuelle Unterschiede erkennen.

Die Ursachen dieser Variabilität sind einmal genetischer Natur, andererseits spielen auch Umwelteinflüsse eine große Rolle. All dies habe ich auf meinen Seiten über die "Variabilität von Populationen" näher erklärt.

Natürliche Auslese / Selektion

Eine Gazelle kann im Schnitt 20 Nachkommen erzeugen, von denen aber nur ein oder zwei überleben und das fortpflanzungsfähige Alter erreichen. Was passiert mit den restlichen jungen Gazellen?

Die natürlichen Ressourcen, vor allem Nahrung, Wasser und Platz, würden nicht für alle Tiere reichen.

siehe folgenden Text

Ein Gepard
Quelle: Wikipedia, Artikel "Gepard", Autor: flowcomm, Lizenz: Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.

Außerdem werden Gazellen auch gern von Raubtieren gefressen, Geparden zum Beispiel. Geparden können sehr schnell laufen; Gazellen aber auch. Wenn der Gepard drei oder vier Gazellen jagt, wird er wahrscheinlich das Tier erwischen, dass am langsamsten rennt. Die etwas schnelleren Tiere überleben den Angriff und haben eine größere Chance, ihre Gene, denen sie das höhere Tempo verdanken, an ihre Nachkommen weiterzugeben.

Es überlebt also nur ein Teil der Jungtiere; man spricht hier auch von einer natürlichen Auslese oder Selektion. Bei der Selektion spielt die Angepasstheit an die jeweilige Umwelt eine entscheidene Rolle. Gut angepasste Individuen haben bessere Überlebens- und Fortpflanzungschancen als nicht so gut angepasste.

Gendrift

Manchmal hängt es einfach nur vom Zufall ab, welches Jungtier überlebt. Die zwei Jungtiere eines Gazellenweibchens machen zum Beispiel gerade ihren Mittagsschlaf, als ein hungriges Löwenweibchen vorbeikommt und sich eines der beiden Jungtiere schnappt. Ein solches Schicksal kann auch ein gut angepasstes Tier, sehr schnelles Tier treffen; es kann sogar sein, dass durch Zufall das langsamere und damit schlechter an die Umwelt angepasste Tier überlebt.

Hier ist also keine Selektion am Werke, sondern etwas, das man als Gendrift bezeichnet: Zufällige, nicht auf Selektion zurückzuführende Veränderungen der genetischen Zusammensetzung einer Population. Einzelheiten dazu siehe Lexikonseite "Gendrift". Hier werden auch der sogenannte Flaschenhalseffekt und der Gründereffekt erklärt.

Selektion und Anpassung

Kampf ums Dasein mit "Blut und Klauen"

Langfristig gesehen werden jedoch die Individuen die größte Überlebenschance haben, die etwas besser an die Umwelt angepasst sind als ihre Konkurrenten innerhalb der Population. So haben z.B. bei Gazellen die Jungtiere, die etwas schneller rennen können, eine größere Chance, einem Gepard zu entkommen. Oder die Jungtiere, die etwas schärfere Hörner besitzen, haben eine größere Chance, sich gegen Fressfeinde zu wehren.

Kampf ums Dasein mit subtileren Methoden

Aber die natürliche Auslese arbeitet nicht immer mit "Blut und Klauen", wie es so schön heißt. Stellen wir uns vor, dass die Gazellenherde gerade eine äußerst schwierige Dürreperiode durchmacht. Viele Tiere, junge wie alte, verdursten jetzt einfach. Mache Individuen kommen mit wenig Wasser aus, andere brauchen mehr Flüssigkeit zum Überleben. Die genügsamen Tiere haben jetzt größere Überlebenschancen als die Tiere, die viel Wasser zum Leben brauchen (siehe dazu auch: Intraspezifische Konkurrenz).

Selektion und Fitness

Im letzten Beispiel wurde immer noch gestorben! Die Tiere, die viel Wasser brauchten, wurden "ausgemerzt" - ein Begriff, den übrigens Darwin schon gebraucht hat. Die natürliche Auslese funktioniert aber auch ohne tragische Todesfälle.

Stellen wir uns wieder eine Gazellenherde vor, die eine Dürreperiode durchmachen muss. Allerdings ist die Trockenheit jetzt nicht so gravierend wie im letzten Beispiel. Die Tiere überleben, und zwar alle Tiere. Allerdings wird die Fertilität (Fruchtbarkeit) der Individuen durch den Wassermangel negativ beeinflusst. Die Tiere bekommen nicht mehr jedes Jahr bis zu zwei oder drei Junge, sondern im Schnitt nur noch alle zwei Jahre ein Junges. Die Fitness der Tiere sinkt. Unter dem Begriff Fitness versteht man ein Maß für die Zahl der fruchtbaren Nachkommen eines Individuums.

Innerhalb der Population wird es aber dennoch ein paar Tiere geben, die überdurchschnittlich viele Junge bekommen, während andere Tiere noch weniger Junge bekommen als der Durchschnitt der Population. Höchstwahrscheinlich werden es die genügsameren Tiere sein, die eine höhere Fitness haben. Diese Tiere kommen mit weniger Wasser aus, sie leiden weniger als die anderen Tiere und haben dadurch einen etwas größeren Fortpflanzungserfolg.

Vererbung von Eigenschaften

Für DARWIN war es noch ein Rätsel, wie die Vererbung eigentlich funktioniert. Dennoch nahm er an, dass viele Eigenschaften, die ein Tier oder eine Pflanze auszeichnen, an die Nachkommen weitervererbt werden.

Bereits LAMARCK kannte den Begriff der Vererbung, wandte ihn jedoch falsch an. LAMARCK ging davon aus, dass erworbene Eigenschaften wie zum Beispiel der durch ständiges Recken und Strecken etwas längere Hals bei den Giraffen auf die Nachkommen weitervererbt würden, was natürlich völlig falsch ist. Nur Eigenschaften, die man selbst von seinen Eltern geerbt bzw. durch Rekombination oder Mutation erworben hat, können weitervererbt werden.

Evolution

Bei dem, was DARWIN als "Evolution" bezeichnet hat, wirken nun all diese Faktoren zusammen. Populationen erzeugen viel mehr Nachkommen, als zum Arterhalt eigentlich notwendig wäre. Die Nachkommen unterscheiden sich in vielen Merkmalen voneinander. Manche dieser Merkmale haben einen Einfluss auf die Überlebenschancen der Individuen. Hier setzt die natürliche Auslese (Selektion) an. Nur die Individuen, die ihrer jeweiligen Umwelt (Umweltbedingungen können sich im Laufe der Zeit ändern) am besten angepasst sind, erreichen das Erwachsenenalter und haben eine Chance zur Fortpflanzung. Dabei geben sie ihre Gene an die nächste Generation weiter. Viele der Merkmale, die diesen Individuen das Überleben ermöglicht haben, sind angeboren, werden also auf die Nachkommen vererbt. Daher sind die Nachkommen genetisch schon etwas besser ausgestattet als ihre Eltern und im Durchschnitt etwas besser an die Umwelt angepasst.

Natürlich haben die überlebenden Nachkommen das gleiche Problem wie ihre Eltern. Auch sie produzieren wieder viel mehr Nachkommen, als zum Arterhalt notwendig wäre (selbst K-Strategen erzeugen nicht nur zwei Nachkommen pro Elternpaar). So geht das Ganze wieder von vorn los und so weiter…

Evolution ist ein Zwei-Schritte-Vorgang: Im ersten Schritt erzeugen Rekombinationen und Mutationen genetische Variationen in einer Population, und im zweiten Schritt verleihen die Umweltfaktoren mit Hilfe der natürlichen Auslese der Evolution ihre Richtung.

Aufgaben

Aufgabe 1

Material A

In Nordamerika leben verschiedene Hirscharten, unter anderem Wapiti und Weißwedelhirsch. Im 19. Jahrhundert wurde der Wapiti stark bejagt, 1900 hatte der Bestand ein Minimum erreicht, fast wäre die Art ausgestorben . Die wenigen überlebenden Tiere wurden dann in Reservaten gehalten, wo sie sich vermehren konnten. Später wurden die Tiere dann wieder ausgewildert. Der Wapiti-Bestand hat sich seitdem deutlich erholt, allerdings lebten im 19. Jahrhunder - vor der unkontrollierten Jagd - mehr als zehnmal so viele Wapitis in Nordamerika (USA, Kanada) wie heute. 1989 schätzte man den Bestand auf ca. 710.000 Tiere in den USA und 72.000 Tiere in Kanada.

Material B

Wie Sie aus dem Genetik-Kurs wissen, gibt es Gene, die nur in einer Variante vorkommen, während andere Gene in zwei, drei oder mehreren Varianten existieren, die man dann als Allele bezeichnet. Gene mit mehreren Allelen bezeichnet man als polymorph (wörtlich übersetzt: vielgestaltig).

Bei einer genetischen Studie hat man nun bestimmte Gene verschiedener Hirscharten untersucht und analysiert, wie viel Prozent der Gene polymorph sind. Hier die Ergebnisse:

Bei den Wapitis waren ca. 10% der Gene polymorph, bei den Weißwedelhirschen 40%, und bei allen nordamerikanischen Hirscharten insgesamt durchschnittlich 20%.

Aufgabenstellung

Stellen Sie eine Hypothese auf, die den geringen Anteil polymorpher Gene bei den Wapitis erklärt.

Weitere Aufgaben sind in Planung...

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Weiter geht es mit den drei Selektionstypen