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Drogen und Drogensucht

Ein wenig hatten wir über Drogen schon in den Abschnitten "Theoretische Wirkorte und Wirkweisen" und "Konkrete Wirkorte und Wirkweisen" gehört. In diesem Abschnitt wollen wir die molekularen Mechanismen der Entstehung einer Drogensucht kennenlernen. Natürlich können wir damit eine reale Drogensucht kaum erklären, denn diese hängt von vielen Faktoren ab, die zum Großteil nichtbiologischer Natur sind. Aber zumindest können wir auf zellbiologischer Ebene klären, wie es zur Abhängigkeit von bestimmten chemischen Verbindungen kommen kann.

Stellen Sie sich vor, sie kommen mit ihrer Hand aus Versehen auf die heiße Herdplatte oder ins Kaminfeuer. Sofort werden Schmerzimpulse von Ihrer Hand zum Rückenmark und zum Gehirn übermittelt, so dass Sie die Hand schnell aus dem Feuer oder von der Herdplatte nehmen können. Der kurze Schmerz hat hier durchaus einen Sinn, denn er löst einen einfachen Schutzreflex aus.

Normale Schmerzübertragung

Schauen wir uns mal an, wie eine solche Übertragung der Schmerz-Information funktioniert:

Beschreibung siehe folgenden Text

Übertragung eines Schmerzsignals
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Das Schmerzsignal wird am Axon der Senderzelle mit Hilfe vieler Aktionspotenziale übertragen; schließlich kommt es am synaptischen Endknöpfchen an. Calcium-Ionen strömen ein und bewirken eine Fusion der synaptischen Vesikel mit der präsynaptischen Membran. Die Neurotransmitter werden in den synaptischen Spalt entlassen und setzen sich an metabotrope Rezeptoren der postsynaptischen Membran. Über G-Proteine werden Adenylatcyclasen aktiviert, die den sekundären Botenstoff cAMP herstellen. Die cAMP-Moleküle setzen sich an Natrium-Kanäle, diese öffnen sich, und Natrium-Ionen diffundieren in die Empfängerzelle. Diese wird depolarisiert und leitet die Schmerz-Information weiter.

metabotrope Synapsen

Das alles sollte Ihnen eigentlich bereits bekannt sein. Wenn nicht, lesen Sie bitte noch einmal die Seite über metabotrope Synapsen durch, auf denen alles erklärt wird.

Postsynaptische Hemmung der Schmerzübertragung durch körpereigene Opiate

Was passiert nun, wenn Sie Ihre Hand nicht mehr rechtzeitig zurückziehen können? Dann verbrennt ein Teil der Haut, und Sie haben ständige Schmerzen. Der jetzt einsetzende heftige Schmerz hat biologisch gesehen keinen Sinn mehr. Daher werden jetzt von bestimmten Nervenzellen schmerzlindernde Stoffe abgesondert, die die Schmerzübertragung hemmen. Betrachten wir die Wirkung solcher schmerzlindernden Stoffe im Bild:

Beschreibung siehe folgenden Text

Übertragung eines Schmerzsignals
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Was macht das körpereigene Schmerzmittel? Die Moleküle - chemisch gesehen handelt es sich um Opiate - setzen sich an die Rezeptoren der postsynaptischen Membran. Die Neurotransmitter der Schmerzübertragung müssen jetzt mit den körpereigenen Opiaten konkurrieren; es handelt sich hierbei wieder mal um eine kompetitive Hemmung.

Wenn alle Rezeptor-Moleküle durch die körpereigenen Opiate besetzt sind, können keine Neurotransmitter mehr andocken; der Schmerzreiz wird nicht mehr übertragen.

präsynaptische Hemmung

Ein alternativer Mechanismus der Schmerzhemmung ist die präsynaptische Hemmung, die ich auf dieser Seite erkläre. Für Klausur- und Abituraufgaben könnte dieses Thema ganz interessant sein.

Entstehung der Abhängigkeit von Schmerzmitteln

Alle Prozesse, die in einer Zelle ablaufen, werden durch Gene im Zellkern reguliert. Umgekehrt werden viele Gene durch Enhancer oder Aktivatorproteine erst aktiv, während die Transkription anderer Gene durch Silencer oder Repressoren gehemmt wird (siehe "Genregulation bei Eukaryoten: Silencer und Enhancer").

Genregulation bei Eukaryoten: Silencer und Enhancer

Auf dieser Seite der Genetik-Abteilung wird diese Art der Genregulation bei Eukaryoten näher beschrieben.

Viele dieser Effektoren (so nennt man allgemein Moleküle, die die Aktivität anderer Enzyme oder Gene beeinflussen können) werden ihrerseits durch sekundäre Botenstoffe wie cAMP oder Calcium-Ionen gehemmt oder aktiviert.

Ist die intrazelluläre cAMP-Konzentration hoch, "denkt" die Zelle, dass noch genug Neurotransmitter-Rezeptoren in der Membran vorhanden sind. Eine Aktivierung der Gene, die für die Synthese neuer Rezeptoren zuständig sind, ist daher nicht notwendig.

Sinkt die cAMP-Konzentration jedoch unter einen bestimmten Wert, so werden diese Rezeptor-Gene aktiviert, und neue Rezeptor-Moleküle und auch Adenylatcyclase-Moleküle werden durch Proteinsynthese hergestellt. Das sieht man auf dem nächsten Bild:

Beschreibung siehe folgenden Text

Text
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Die kompetitive Hemmung der Repressoren hat zu einer niedrigen cAMP-Konzentration geführt, das führt zur Aktivierung der Rezeptor- und Adenylatcyclase-Gene, neue Rezeptor- und Adenylatcyclase-Moleküle werden synthetisiert und in die postsynaptische Membran eingebaut. Nun sind so viele Rezeptoren vorhanden, dass die körpereigenen Opiate nicht mehr alle Rezeptoren besetzen können. Die Schmerz-Neurotransmitter haben wieder eine Chance, sich an einen freien Repressor zu setzen, und die Schmerzübertragung funktioniert wieder.

Diese Erfahrung macht jeder, der für längere Zeit Schmerzmittel einnimmt. Irgendwann hört die Wirkung des Schmerzmittels auf, und der Schmerz kommt wieder. Den Grund dafür habe ich Ihnen gerade erklärt.

Schmerzmittel und körpereigene Opiate hemmen zunächst die Rezeptoren für Schmerz übertragende Neurotransmitter kompetitiv. Dadurch sinkt der zellinterne cAMP-Spiegel, was dann aber über den Umweg der Genregulation zur Synthese neuer Rezeptor-Moleküle führt, die in die Zellmembran der Empfängerzelle eingebaut werden. Die Neurotransmitter können wieder an Rezeptoren andocken, die Schmerzübertragung funktioniert wieder.

Wie reagiert nun das Gehirn bzw. das ZNS auf die wieder einsetzende Schmerzübertragung? Es werden noch mehr körpereigene Opiate produziert, welche dann die neuen Rezeptoren besetzen. Die cAMP-Konzentration sinkt wieder, mit der Folge, dass weitere Rezeptor-Moleküle synthetisiert werden. Diese sind dann wieder für Schmerz-Neurotransmitter verfügbar. Der Körper produziert daraufhin noch mehr Opiate bzw. man muss noch mehr Schmerzmittel einnehmen, um den Schmerz zu unterdrücken. Man wird von dem Schmerzmittel abhängig - ein Musterbeispiel für Drogensucht.

Entzugserscheinungen

Wie kann man nun die typischen Entzugserscheinungen erklären, die entstehen, wenn man eine Droge bzw. ein Schmerzmittel plötzlich absetzt?

Beschreibung siehe folgenden Text

Absetzen des Schmerzmittels
Autor: Ulrich Helmich, Lizenz: siehe Seitenende

Hier sehen Sie die Situation, nachdem der Körper abhängig geworden ist von dem Schmerzmittel bzw. den körpereigenen Opiaten. In der postsynaptischen Membran sitzen sehr viele Rezeptor-Moleküle; sehr viel mehr als bei einem nicht abhängigen Menschen.

Nun wird das Schmerzmittel abgesetzt. Es ist kein kompetitiver Hemmstoff mehr für die Schmerz-Neurotransmitter vorhanden. Jeder der vielen Rezeptoren kann jetzt also durch Neurotransmitter-Moleküle besetzt werden; es wird sehr viel cAMP produziert; viele Natrium-Kanäle öffnen sich dadurch, und sehr viele Natrium-Ionen strömen in die Zelle ein. Die Membran wird sehr stark depolarisiert, und am Axonhügel der Empfängerzelle wird der Schwellenwert für die Bildung von Aktionspotenzialen stark überschritten, was zu einer sehr hohen Aktionspotenzial-Frequenz am Axon der Empfängerzelle führt. Im Gehirn bzw. im Rückenmark kommt ein sehr viel stärkerer Schmerzimpuls an als bei einem nicht-abhängigen Menschen, der nur eine normale Anzahl von Rezeptoren besitzt.

Erst wenn der Zellkern "kapiert" hat, dass jetzt genug cAMP vorhanden ist, fährt er die Produktion weiterer Rezeptor-Proteine und Adenylatcyclasen auf ein normales Level herunter, aber das kann schon einige Zeit dauern.