Helmichs Biologie-Lexikon

Endosymbionten-Theorie

Nach der Endosymbiontentheorie nimmt man an, dass sich die Eukaryoten aus den Prokaryoten entwickelt haben.

Möglicher Ablauf der Endosymbiose

Das am meisten vertretene Szenario ist die Phagocytose-Hypothese. Große Bakterien "fressen" kleine Bakterien, dieser Vorgang wird als Phagocytose bezeichnet. Phagocytose kommt übrigens auch bei Eukaryoten vor, man denke nur an Amöben oder an die Makrophagen des menschlichen Immunsystems.

Im Laufe der Evolution hatten einige Bakterien die Fähigkeit entwickelt, sich gegen ein solches "Auffressen" zu schützen, sie waren immun gegen die Verdauungsenzyme der räuberischen Bakterien. Auch heute kann man ähnliche Vorgänge bei ein- und mehrzelligen Organismen beobachten. Einige Einzeller und auch einige Vielzeller nehmen Grünalgen auf, die sie dann nicht verdauen. Im Gegenteil: die Grünalgen bleiben quicklebendig im Zellplasma des "Wirtes" und betreiben weiterhin Photosynthese. Davon profitiert dann der Wirt. Umgekehrt ist die Grünalge im Innern des Wirtes wesentlich besser geschützt als außerhalb. Wenn beide Partner von einer solchen Lebensgemeinschaft profitieren, bezeichnet man das allgemein als Symbiose. Lebt der kleinere Partner im Innern des größeren, spricht man von einer Endosymbiose.

Korallen beispielsweise sind Tiere, in deren Zellen Grünalgen symbiotisch leben. Selbst die wesentlich höher entwickelten Blattläuse leben in Endosymbiose mit Algen oder Bakterien. Bekannt sind auch die stickstofffixierenden Bakterien in den Wurzelknöllchen einiger Pflanzen.

So etwas Ähnliches muss vor Milliarden Jahren passiert sein, als die Eukaryoten entstanden. Ein großer Prokaryot, nach heutigem Wissenstand ein Vertreter der Archaeen, hat kleinere Bakterien aufgenommen, konnte diese aber nicht verdauen. Sie lebten im Innern des Wirtes weiter und versorgten ihn mit Energie in Form von ATP oder anderen energiereichen Verbindungen.

Aus Bakterien, die organische Nährstoffe abbauen und die daraus gewonnenen Reduktionsäquivalente mit Hilfe von Sauerstoff zur Synthese von ATP nutzen konnten, wurden dann im Laufe der Zeit die Mitochondrien, und aus Blaualgen (Cyanobakterien), die ATP durch Photosynthese herstellen konnten, wurden im Laufe der Zeit die Chloroplasten.

Allerdings konnte dieser räuberische Prokaryot, der sich die aeroben bzw. photosynthetischen Bakterien einverleibt hatte, keine einfach gebaute Zelle sein. Eine Phagocytose ist nämlich schon ein recht komplexer Vorgang, der zumindest eine flexible Zellmembran und das Vorhandensein eines mit ihr verknüpften Zellskeletts voraussetzt. Ein solches Zellskelett ist aber nicht günstig für eine frei im Cytoplasma schwebende DNA, diese kann durch das Zellskelett leicht beschädigt werden. Also muss auch die DNA dieses räuberischen Prokaryoten schon irgendwie geschützt gewesen sein, vielleicht sogar durch eine Art von Kernhülle [1].

Belege für die Endosymbionten-Theorie

Für diese Endosymbiontentheorie sprechen viele Tatsachen.

Mitochondrien und Chloroplasten besitzen die Größe von Bakterien

Dieser Befund muss eigentlich nicht näher erläutert werden, er spricht für sich, ist aber für sich alleine noch kein Beweis für die Richtigkeit der Endosymbiontentheorie.

Mitochondrien und Chloroplasten besitzen eine eigene DNA

Diese DNA ist fast genau so aufgebaut wie die DNA von Prokaryoten, besteht also aus einem einzigen dünnen Faden aus Desoxyribonucleinsäure, der zu einem Kreis geschlossen ist. Histone oder andere Proteine kommen nicht vor.

Heute kann man ja leicht DNA-Stammbäume aufstellen, an denen man den Verwandtschaftsgrad selbst weit entfernter Lebewesen schnell ablesen kann. Und bei solchen Analysen hat sich tatsächlich gezeigt, dass die Chloroplasten-DNA der DNA von Cyanobakterien (Blaualgen) stark ähnelt. Die Mitochondrien-DNA andererseits ist eng verwandt mit der DNA bestimmter Bakterien (alpha-Proteobakterien).

Allerdings sind im Laufe der Evolution viele der ursprünglichen Gene der Mitochondrien und Chloroplasten verloren gegangen. Ein anderer Teil dieser ursprünglichen Gene wurde in das Haupt-Genom der Wirtszellen integriert. In menschlichen Zellen codieren Mitochondrien-Gene nur noch für 13 Proteine, zwei rRNAs und 22 tRNAs [1].

Mitochondrien und Chloroplasten vermehren sich durch Zweiteilung

Auch dies haben sie mit den Prokaryoten gemeinsam. Selbst der Mechanismus der Zweiteilung ähnelt dem der Prokaryoten, besonders dem der Bakterien.

Mitochondrien und Chloroplasten besitzen eine doppelte Zellmembran

Die äußere Zellmembran der Mitochondrien ähnelt in ihrer chemischen Zusammensetzung der Membran der anderen Zellorganellen eines Eukaryoten. Das heißt, die äußere Membran wird von der Wirtszelle gebildet. Die innere Membran dagegen hat eine ähnliche chemische Zusammensetzung wie die Membran von Bakterienzellen.

Beispielsweise enthält diese Membran kein Cholesterin, dagegen kommt Cardiolipin vor, ein Phospholipid mit vier (!) Fettsäureresten. Cardiolipin kommt ausschließlich in Bakterien und Mitochondrien vor.

Diese Tatsachen sind sehr gewichtige Argumente für die Endosymbiontentheorie. Wie soll man sonst erklären, dass Mitochondrien und Chloroplasten innere Membranen haben, die nahezu genau so aufgebaut sind wie die Membranen von Bakterien?

Bei den Chloroplasten bestimmter Algen ist die Sache noch komplizierter. Es gibt nämlich Chloroplasten, die von drei Membranen umgeben sind. Man vermutet hier, dass ein großer Eukaryot einen kleineren Eukaryoten phagocytiert hat, der seinerseits eine prokaryotische Blaualge als Endosymbionten besaß. So stammt die äußere Membran von dem großen Eukaryoten, die mittlere Membran von dem kleinen Eukaryoten und die innere Membran von der Blaualge.

Mitochondrien und Chloroplasten besitzen 70S-Ribosomen

Im Zellplasma von Eukaryotenzellen kommen die etwas schwereren 80S-Ribosomen vor. Aber im Plasma von Mitochondrien und Chloroplasten finden wir 70S-Ribosomen, die genau so aufgebaut sind wie die Ribosomen von Bakterienzellen.

Aktuellere Belege für die Endosymbiontentheorie

Der einzellige Flagellat Angomonas deanei, der im Darm von Insekten lebt, ist ein hervorragender Modellorganismus für die Endosymbiontentheorie. Diese Geißeltierchen besitzten nämlich genau ein einziges symbiontisches Bakterium pro Zelle. Untersuchungen haben ergeben, dass die Aufnahme dieses Symbionten erst vor 40 bis 120 Millionen Jahren geschehen ist, also vor relativ "kurzer" Zeit (Evolutionsbiologen haben eben etwas andere Maßstäbe, was die Zeit angeht). Das Bakterium versorgt den Flagellaten mit Vitaminen und Stoffwechselprodukten.

Vergleicht man nun die Genome des symbiontisch lebenden Bakteriums mit denen verwandter freilebender, so stellt man fest, dass das Genom des symbiontischen Bakteriums stark reduziert ist - allerdings nicht so stark wie das reduzierte Genom der Mitochondrien und Plastiden (aber die wurden ja auch schon vor viel längerer Zeit als Symbionten aufgenommen).

Die Integration des Symbionten in den Wirtsorganismus ist schon so weit fortgeschritten, dass die Zellteilungen synchron verlaufen. Dazu produziert der Wirt bestimmte Enzyme, die dem Bakterium quasi dabei helfen, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt durchzuschnüren - nämlich dann, wenn sich die Wirtszelle teilt.

Ähnliche Proteine findet man auch in anderen eukaryotischen Zellen, sie sorgen dann für die Durchschnürung der Mitochondrien und Plastiden [3].

Alternativen zur Endosymbiontentheorie

Die einzige ernsthafte wissenschaftliche Alternative zur Endosymbiontentheorie ist die sogenannte Hydrogen-Hypothese, die im Spektrum-Lexikon der Biologie näher erklärt wird. Bei dieser Hypothese handelt es sich aber im Prinzip auch um eine Endosymbiose-Theorie; eine wirkliche Alternative ist das nicht.

Quellen:

  1. Alberts, Bruce et al. Molekularbiologie der Zelle, 6. Auflage, Weinheim 2017.
  2. Neukamm, M und Beyer, A. "Die Endosymbiontentheorie - Allgemeine Grundlagen, Fakten, Kritik" auf Evolutionsbiologie.net.
  3. Kurzmitteilung in Biologie in unserer Zeit, Heft 1/2023, S. 7.