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rezeptive Felder

Attrappenversuche mit Erdkröten

Mit einer Erdkröte kann man schöne Versuche anstellen. Man setze die Erdkröte vor sich hin und halte ihr dann verschiedene Attrappen vor die Augen. Besteht die Attrappe aus einem waagerechten dunklem dicken Strich, so reagiert die Kröte mit einer für sie typischem Beutefang-Reaktion. Sie wendet sich der Attrappe zu, die lange Zunge fährt aus und das Tier versucht, die vermeintliche Beute zu verschlingen.

Eine Erdkröte
Iric, CC BY-SA 2.5, via Wikimedia Commons

Hält man der Kröte dagegen einen senkrechten dunklen dicken Strich als Attrappe hin, so reagiert sie mit einer Fluchtreaktion. Sie wendet sich von der Attrappe ab und versucht zu flüchten.

Physiologische Untersuchungen der Kröte ergaben nun, dass bereits in der Netzhaut erkannt wird, ob es sich bei der gesehenen Attrappe um eine waagerechte oder um eine senkrechte dunkle Form handelt. In der Netzhaut findet also eine Art Informationsverarbeitung statt, und zwar mit Hilfe sogenannter rezeptiver Felder, womit wir auch schon beim Thema dieser Seite wären.

Rezeptive Felder

Wie wird bereits im Abschnitt Weiterleitung der Information zum Gehirn gesehen haben, ist ein Photorezeptor der Netzhaut mit einer, zwei oder mehreren Bipolarzellen verbunden, diese wiederum sind mit einer, zwei oder mehreren Ganglienzellen verbunden. Erst in den Ganglienzellen werden Aktionspotenziale produziert, die dann über den Sehnerven zum Sehzentrum des Gehirns ziehen.

Rezeptives Feld = Gesamt aller Photorezeptoren, die über Bipolarzellen mit einer Ganglienzelle verbunden sind.

Schauen wir uns noch einmal ein stark schematisches Bild der Netzhaut eines Säugetiers an:

Ein Ausschnitt aus der Netzhaut
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.

Hier sehen Sie - in stark schematisierter Form - eine Schaltskizze der wichtigsten Zelltypen der Netzhaut. Wie bereits erläutert, ist jeder Photorezeptor (blau) mit Bipolarzellen (gelb) verbunden, und jede Bipolarzelle ist mit Ganglienzellen (braun) verknüpft. Die langen Axone der Ganglienzellen führen dann in das Sehzentrum des Gehirns.

Unter einem rezeptiven Feld versteht man nun alle Photorezeptoren, die auf eine Ganglienzelle projizieren. Das wollen wir auf der Abbildung 1 einmal deutlich machen:

Das rezeptive Feld einer Ganglienzelle
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Diese stark vereinfachte Darstellung zeigt das rezeptive Feld einer Ganglienzelle. Über drei Bipolarzellen ist die Ganglienzelle mit insgesamt sieben Photorezeptoren verbunden.

Wie gesagt, die Darstellung in Abbildung 2 ist stark schematisch. In Wirklichkeit bestehen rezeptive Felder aus 50, 70 oder noch mehr Photorezeptoren, und sie sind nicht eindimensional, wie in der Abbildung 2, sondern zweidimensional, also flächig.

Schauen wir einmal von "oben" auf eine Netzhaut:

Ein rezeptives Feld von oben
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Die blau dargestellten Kreise symbolisieren die Photorezeptoren, die mit einer Ganglienzelle verbunden sind. Die grauen Kreise stehen für Photorezeptoren, die nicht mit dieser Ganglienzelle verknüpft sind. Im Hintergrund (bzw. weiter unten) kann man fünf Bipolarzellen (gelb) und die Ganglienzelle (braun) erkennen.

Mustererkennung

Die Erdkröte kann quer über das Gesichtsfeld kriechende Objekte (potenzielle Fressfeinde, eventuell auch Beute) mit Hilfe von rezeptiven Feldern auf ihrer Netzhaut erkennen. Wir entwickeln jetzt mal eine Modellvorstellung, mit der wir eine solche grobe Mustererkennung erklären können.

Modellvorstellung zur Mustererkennung

Dazu stellen wir uns mal ganz einfach vor, dass es mit Hilfe der Bipolarzellen, der Horizontalzellen und der Amakrinzellen der Netzhaut sowie über erregende und hemmende Synapsen möglich ist, dass ein Photorezeptor eine Ganglienzelle aktivieren kann. Nennen wir solche Photorezeptoren doch einfach mal PLUS-Rezeptoren (Achtung: das ist kein gebräuchlicher Fachbegriff, sondern ich habe mir die Bezeichnung gerade selbst ausgedacht).

Andere Photorezeptoren schaffen es über die Bipolarzellen, die Horizontal und/oder die Amakrinzellen, die Ganglienzelle des rezeptiven Feldes zu hemmen. Wir wollen solche Sehzellen jetzt einmal als MINUS-Rezeptoren bezeichnen.

Ein Blick von oben auf ein rezeptives Feld
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.

Das rezeptive Feld unseres einfachen Modells besteht aus 36 Photorezeptoren, davon sind 24 MINUS-Rezeptoren (rot), und 12 sind PLUS-Rezeptoren (grün).

Stellen wir uns nun mal ganz einfach vor, dass jeder MINUS-Rezeptor über "seine" Bipolarzelle eine Information zur Ganglienzelle schickt, der wir den willkürlich gewählten Wert -1 zuweisen. Sobald also ein MINUS-Rezeptor belichtet wird, erhält die Ganglienzelle die Information -1. Werden sieben dieser MINUS-Rezeptoren gleichzeitig belichtet, erhält die Ganglienzelle die Information -7. Alles klar bisher?

Bei den PLUS-Rezeptoren ist es genau umgekehrt. Jede PLUS-Zelle, die belichtet wird, sendet die Information +1 zu der Ganglienzelle. Werden also alle 12 PLUS-Rezeptoren des rezeptiven Feldes gleichzeitig belichtet, erhält die Ganglienzelle die Information +12.

Mit diesen Informationen ausgestattet, betrachten wir nun das nächste Bild.

Fall 1 - Die Kröte schaut gegen den hellen Himmel

Fall 1
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.

Alle 36 Photorezeptoren werden gleichzeitig belichtet. Die 24 MINUS-Rezeptoren senden zusammen die Information -24 zur Ganglienzelle, die 12 PLUS-Rezeptoren die Information +12. Insgesamt ergibt das dann -12.

Fall 2 - Die Kröte sieht eine waagerechtes dunkles Objekt vor hellem Hintergrund

Fall 2
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.

Auf die 12 PLUS-Rezeptoren fällt ein Schatten. Alle MINUS-Rezeptoren zusammen senden die Information -24, die zwölf PLUS-Rezeptoren senden nichts, weil sie nicht belichtet werden. Insgesamt erhält die Ganglienzelle die Information -24.

Fall 3 - Die Kröte sieht ein senkrechtes dunkles Objekt vor hellem Hintergrund

Fall 3
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende.

Wie man leicht nachrechnen kann, erhält die Ganglienzelle nun die Information -8.

Aufgabe

Berechnen Sie, welche Information die Ganglienzelle bekommt, wenn auf das rezeptive Feld

a) ein großer Schatten fällt, der alle 36 Sehzellen bedeckt,

b) ein schmaler schräger Schatten fällt, der 8 MINUS- und 4 PLUS-Rezeptoren bedeckt:

Ein schräger Schatten
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Zusammenfassung

Auf einen waagerechten dunklen Schatten spricht die Ganglienzelle hier am stärksten an (-24). Man kann also vermuten, dass die Aufgabe dieser Ganglienzelle darin besteht, waagerechte dunkle Schatten vor einem hellen Hintergrund zu erkennen und an das Gehirn weiterzuleiten. Wie das Gehirn des Tiers dann auf diese Information reagiert, ist eine andere Sache.

Experimentelles

Wie kann man rezeptive Felder experimentell ermitteln? Dazu "sticht" man das ableitende Axon einer Ganglienzelle mit einer Mikroelektrode an, misst die Aktionspotenzial-Frequenz am Axon und lässt dann einen extrem kleinen Lichtpunkt über die Netzhaut des Versuchstieres wandern. Immer dann, wenn sich die AP-Frequenz verändert, hat man einen Photorezeptor getroffen, der zu dem rezeptiven Feld dieser Ganglienzelle gehört.

Messung von Aktionspotenzialen an den Axonen von Ganglienzellen
Autor: Ulrich Helmich 2022, Lizenz: siehe Seitenende

Mit einer solchen Versuchsanordnung kann man nicht nur feststellen, welche Rezeptoren zum rezeptiven Feld gehören, sondern man kann auch herausfinden, welche Eigenschaften das rezeptive Feld hat. Das rezeptive Feld aus unserem Modellbeispiel spricht am stärksten an, wenn ein waagerechter Schatten auf die Netzhaut fällt.

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